Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen
die Höhe riss, verschwamm sein Anblick mit der Erinnerung, die Eryne an Grigän hatte.
Sie war so fassungslos, dass sie keinen Ton von sich gab, als die Angreifer von ihr abließen und sich ihm in den Weg stellten. Erst als Amanon seine Klinge durch die Luft sirren ließ und ihr das Blut eines der Männer ins Gesicht spritzte, erwachte sie aus ihrer Starre. Der Getroffene war kaum zu Boden gesunken, da stieß Amanon schon dem nächsten sein Schwert in die Brust, ohne sich um das armselige Küchenmesser zu scheren, mit dem sich die Männer zu verteidigen suchten. Von hysterischem Lachen und Weinen geschüttelt, konnte Eryne die Augen gerade noch lang genug offen halten, um auch den letzten Übeltäter sterben zu sehen, den Amanon von hinten aufspießte. Dann schwanden ihr die Sinne, und in ihrem letzten klaren Moment wusste sie nicht mehr, ob sie das alles wirklich erlebt hatte oder ob es nur die Halluzinationen einer Todgeweihten gewesen waren, die soeben ihren letzten Atemzug tat.
Amanon durchlebte einen der unvergesslichsten Dekanten seines Lebens, schmerzvoll und zugleich unendlich kostbar. So sehr er sich auch für den Gedanken schämte, er genoss jeden einzelnen Augenblick, in dem er Eryne ganz für sich allein hatte: in dieser finsteren, stillen Nacht, auf dem Heuboden eines Pferdestalls. Als wären Eryne und er die einzigen Menschen auf der Welt.
Dennoch machte er sich große Sorgen um sie, bis sie endlich zu blinzeln begann und die Augen aufschlug. Im ersten Moment verzerrte sie angstvoll das Gesicht, doch als sie sah, dass sie in Sicherheit war, entspannte sie sich. Sie ließ den Blick über den knisternden Ofen, die Kerzen und das Bett wandern und erwiderte schwach das Lächeln ihres Retters, der neben ihr auf einem Stuhl saß. Dann fielen ihr die Kleider ins Auge, die er zum Trocknen aufgehängt hatte, und sie erstarrte. Ungläubig lugte sie unter die Decke, um sich zu vergewissern, dass sie richtig gesehen hatte.
»Ihr habt mich ausgezogen?«, fragte sie mit einem Anflug von Entsetzen in der Stimme.
»Nur so weit wie nötig«, beteuerte Amanon. »Ich wollte nicht, dass Ihr krank werdet, und in der Herberge konnte ich nicht um Hilfe bitten. Die Kerle könnten dort Freunde oder Komplizen haben.«
Die bloße Erwähnung ihrer Angreifer ließ Eryne erschauern, und sie griff unwillkürlich nach ihrem Anhänger. Nein, sie hatten ihn nicht gestohlen.
»Ich glaube nicht, dass sie zur Dunklen Bruderschaft gehörten«, sagte Amanon beruhigend. »Und ihre … ihre Leichen werden sicher nicht vor morgen früh entdeckt. Ich habe das Tor zur Scheune verrammelt.«
Eryne sah ihm so tief in die Augen, dass er das Gefühl hatte, in ihrem Blick zu versinken. Einen Moment lang glaubte er, etwas ganz Besonderes darin zu lesen, aber vielleicht war es auch nur die Spiegelung seiner eigenen Sehnsüchte.
»Wie habt Ihr mich gefunden?«, fragte sie und setzte sich auf, wobei ihr die Decke von den Schultern glitt.
»Ich … Ich bin Euch nachgegangen, um noch einmal mit Euch zu reden«, gestand er. »Dann habe ich Stimmen gehört, und …«
»Und was wolltet Ihr mir sagen?«
Die Antwort brannte Amanon auf der Zunge, aber er behielt sie für sich. Es war nicht der richtige Zeitpunkt. Nicht nach dem, was sie gerade durchgemacht hatte.
Als er schwieg, wurde die Spannung im Zimmer immer größer und war bald mit Händen greifbar. Schließlich setzte Eryne sacht die Füße auf den Boden, ging auf Amanon zu und küsste ihn so vorsichtig wie zärtlich. Ein Zittern durchlief ihn, als sie ihn bei der Hand nahm und zu sich hochzog.
Auf einmal waren alle Verwirrung und alle Angst vergessen. Sie gaben sich einander mit der Unschuld einer jungen Liebe hin, ganz so, als würden sie beide zum ersten Mal körperliche Lust erkunden. Sanft beschienen vom Licht der Kerzen, schmiegten sie sich unter leisem Stöhnen aneinander, bis sie heiße Schauer durchliefen …
Diese Augenblicke lieferten Amanon einen weiteren Grund, den allerwichtigsten, ihre Suche zu einem glücklichen Ende zu führen. Denn er wusste, dass Eryne ihm nur diese eine Nacht gewähren würde, bevor sie den Weg weiterging, der ihr als Göttin bestimmt war. Solange Sombre das Leben der Erben bedrohte, war an eine gemeinsame Zukunft nicht zu denken. Zumal es sein konnte, dass sich Eryne letztlich doch für Keb entschied …
Aber in dieser Nacht zählte für Amanon nichts als das Glück des Augenblicks.
Im Morgengrauen weckten Eryne und Amanon die anderen. Nach einigen
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