Die Krieger 4 - Das Geheimnis der Pforte
aus dem Hafen hatte sie voller Wehmut an der Reling gestanden und Nolan anvertraut, dass sie nach all dem Leid, das sie auf ihrer Heimatinsel erlebt hatte, nie wieder dorthin zurückkehren wollte.
Als Nolan dem Blick seiner Schwester begegnete, senkte er unwillkürlich den Kopf. Mittlerweile hatte er sich einigermaßen an den Gedanken gewöhnt, dass Eryne im Zustand der Entsinnung Stimmen wahrnahm und kleinere Wunder vollbrachte. Doch jetzt war unzweifelhaft bewiesen, dass sie eine künftige Göttin war. Eryne hatte die Gedanken der Züu-Priester gelesen, Zuias Täuschungsversuch durchschaut und sogar das Ruderboot wiedergefunden, das sie bereits verloren geglaubt hatten. Und das alles nur mit der Kraft ihres Geistes! Außerdem hatte Zuia, selbst eine Unsterbliche, sie als Schwester bezeichnet. Seither fühlte sich Nolan in Erynes Gegenwart befangen und wusste nicht genau, wie er sich verhalten sollte. Natürlich war das dumm und egoistisch von ihm: Mehr denn je brauchte Eryne jetzt seine brüderliche Zuwendung und Liebe. So zwang er sich, ihr in die Augen
zu
sehen und ihr mattes Lächeln zu erwidern. Die Hände seiner Schwester ruhten auf ihrem Bauch.
Diese schützende Geste war ihm bereits bei dem gefährlichen Abstieg die Steilküste hinunter aufgefallen. Spürte sie das Kind, das in ihrem Leib heranwuchs, vielleicht sogar schon? Nolan wurde den Gedanken nicht los, dass sein Neffe oder seine Nichte den Erben nicht nur Freude, sondern auch große Sorgen bereiten würde.
Es war gut möglich, dass das Kind der Erzfeind war und von Sombre verfolgt würde, sobald es zur Welt kam. Zumal die Ungewissheit, wer sein Vater war, Zwietracht unter den Gefährten säen könnte – und das wäre ihr Ende. Würden sich Keb und Amanon heillos zerstreiten?
Zum Glück hatten beide Männer bisher große Zurückhaltung an den Tag gelegt. Amanon hatte sogar bewiesen, wie sehr er Keb vertraute, als er die Passagiere des Ruderboots seiner Obhut übergab, während er selbst die Feluke holen ging. Und anders als sonst hatte sich Keb nicht beschwert, zurückgelassen zu werden. Vielleicht hatte er eingesehen, dass eine kleine Gruppe im Hafen weniger auffiel, vielleicht hatte er aber auch nur bei Eryne bleiben wollen – bei ihr und dem Kind, das sie unter dem Herzen trug.
Jedenfalls benötigten Eryne und ihr Kind besonderen Schutz. Bald würde Erynes göttliche Macht die Kraft ihres Gweloms übersteigen, und dann könnte jeder Gott - und jeder Dämon – sie überall auf der Welt aufspüren.
Nolan stieß einen leisen Seufzer aus und ging hinüber in die Kombüse, wo die Männer schliefen. Keb hatte sich bereits auf seiner Koje ausgestreckt, wie er bei der erstbesten Gelegenheit zu tun pflegte. Nolans Blick fiel auf die Bücher, die der Wallatte auf Amanons Koje abgelegt hatte, was ihn auf die Idee brachte, seinen eigenen Rucksack zu öffnen und ihm die Manuskripte aus Züias Bibliothek zu entnehmen. Als er sich an den Kampf erinnerte, der nötig gewesen war, um sie in ihren Besitz zu bringen, wurde ihm ganz schlecht. Immerhin hatten sie eine Dämonin bestohlen. Jetzt blieb nur zu hoffen, dass sie mit ihrer Hilfe endlich die ethekischen Schriftzeichen entziffern konnten und vielleicht sogar mehr über die magischen Pforten ins Jal erfuhren. Wenn überhaupt, so konnten sie ihre Eltern nur auf diesem Wege retten. Wahrscheinlich würde sich Amanon gleich heute Nacht an die Übersetzung machen. Leider würde die Entschlüsselung der Schriftzeichen wohl Tage oder gar Dekaden dauern.
Nachdem Nolan seinen Rucksack geleert hatte, musste er nur noch eins tun, um das Abenteuer auf der Insel Zuia hinter sich zu lassen. Er trug immer noch seine Verkleidung, das Gewand der Züu-Priester. Mit großer Erleichterung tauschte er es wieder gegen die Kutte der eurydischen Novizen.
Er überlegte, welche Gewänder wohl die Priester tragen würden, die seiner Schwester dienten, wenn sie erst einmal eine Göttin wäre. Das wiederum brachte ihn auf den Gedanken, dass es vielleicht seine Aufgabe sein würde, die Lehrsätze dieser neuen Religion aufzustellen.
Rasch schob er diese Überlegungen beiseite, denn er hielt sie für dumm und hochmütig. Doch ganz vergessen konnte er sie nicht.
Geistesabwesend stand Cael am Steuer. Seit dem Beginn ihrer Reise hatte er so viele Dekanten an Bord eines Schiffs verbracht, dass ihm das Segeln mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen war. Dass er im Großen Haus die Schulbank gedrückt hatte, schien in weiter Ferne
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