Die Krieger 4 - Das Geheimnis der Pforte
das Betteln und Flehen nicht einmal mehr lästig. Manchmal lauschte er dem eingesperrten Geist für eine Weile, um sich an seiner Verzweiflung zu ergötzen. Das war die Rache dafür, dass er selbst jahrelang hilflos in diesem Körper gefangen gewesen war.
Auge um Auge.
Er verabscheute die Bilder, die diese innere Stimme heraufbeschwor. Sie wollte ihn verweichlichen, ihn zu Mitleid, Reue und Erbarmen überreden, all jenen armseligen Dingen, die nur Schwächlingen etwas bedeuteten. Regungen, die mit seiner wahren Natur nicht vereinbar waren. Er fühlte sich mächtig und überlegen, zum Herrscher geboren, so wie es das Recht des Stärkeren seit jeher vorsah. Verschonte eine Katze etwas das Leben der Mäuse, mit denen sie spielte? Gewiss nicht. Und er hatte die Seele einer Katze, die all diese jämmerlichen Menschen mit Leichtigkeit totbeißen konnte. Er war eine gewaltige, furchterregende Raubkatze.
Die Zeit vor seiner Befreiung war fast völlig aus seinem Gedächtnis gelöscht. Er erinnerte sich noch schwach daran, dass er eine Sterbliche hatte bestrafen wollen. Kurz darauf war er in einer kleinen Gasse zu sich gekommen, wo er an einer Mauer kauerte, während sich ihm zwei mit erbärmlichen Messern bewaffnete Narren näherten. Mit bloßen Händen hatte er dem einen die Augen ausgekratzt und den anderen erdrosselt. Zuletzt hatte er ihre Waffen gepackt und ihnen die Gesichter bis zur Unkenntlichkeit zerstochen. Dann hatte er darum gerungen, nicht wieder in seinen Kerker verbannt zu werden, wie bisher jedes Mal, wenn er für kurze Zeit ausgebrochen war.
Und diesmal hatte er die Oberhand behalten.
Die grimmige Freude, die er in jenem Moment empfunden hatte, war noch immer lebendig, auch wenn seither drei Nächte vergangen waren. Er war mittlerweile zu stark, um sich in Ketten legen zu lassen. Von Dekant zu Dekant wuchs seine Macht. Nun beherrschte er diesen Körper, das war ihm nicht mehr zu nehmen. Die piepsende Stimme irgendwo in den Tiefen seines Geistes würde niemals wieder freikommen. Er hatte sie ein für alle Mal bezwungen, dachte er voller Häme.
Endlich war er Herr seines eigenen Schicksals. Als Erstes würde er versuchen, seinen geistigen Vater wiederzufinden. Seinen Erzeuger, der ihn nach seinem Vorbild geschaffen hatte. Sombre.
Er spürte, dass er ganz in der Nähe war – zumindest witterte er die Gegenwart höherer Wesen, die von ähnlicher Natur waren. Irgendwo in der Finsternis rühmten sich unsterbliche Seelen ihrer Macht. Offenbar hielten sie sich für unbesiegbar.
Davon wollte sich Cael, der
Dämon
Cael, selbst überzeugen. Unerschrocken lief er durch die übel riechenden Gänge und stahl sich von Schatten zu Schatten, während die winzige Stimme in seinem Kopf ihn anflehte, die Verfolgungsjagd aufzugeben.
***
Eryne hätte sich gern etwas Wärmeres angezogen, wagte aber nicht, um einen Halt zu bitten. Am liebsten hätte sie das Kleid, das sie immer noch über dem Nachthemd trug, gegen ein einfaches Leinengewand getauscht, was ihr früher nicht einmal im Traum eingefallen wäre. Doch dafür würde sie sich ein Stück von den anderen entfernen oder die Männer auffordern müssen, sich abzuwenden, und das bedeutete, sich entweder in Gefahr zu begeben oder sich lächerlich zu machen. Immerhin hatte sie mit zweien ihrer Gefährten das Bett geteilt; Amanon und Keb würden sich zweifellos eifersüchtig beäugen, wenn sie sich vor ihren Augen auszog. Andererseits konnte sie ihnen wohl kaum befehlen, nicht hinzusehen! So beschloss sie, die Kälte stumm zu erdulden, schließlich litten ihre Gefährten ebenso darunter wie sie.
Ihr kam es vor, als stolperten sie seit einer Ewigkeit durch das Labyrinth unter den Bergen. Sie mochte zwar göttliche Fähigkeiten haben, aber Müdigkeit spürte sie trotzdem noch, und die vergangene Nacht war arg kurz gewesen. Es mussten mehrere Dekanten verstrichen sein, seit sie das Boot in der Nähe des Wasserfalls zurückgelassen hatten und zu Fuß weitergegangen waren. Vielleicht dämmerte draußen bereits der Abend. Zweimal hatten die Gefährten gerastet, um mit klammen Fingern ein paar Happen zu essen, und wahrscheinlich würden sie sich bald eine Höhle suchen, in der sie ihr Nachtlager aufschlagen konnten. Und dann? Wie viele Meilen würden sie noch zurücklegen, bevor sie ihr Ziel erreichten oder aufgeben mussten?
Sie hätten es viel leichter gehabt, wenn die Etheker den Weg zur Pforte in irgendeiner Weise markiert hätten. Aber die Erben wussten aus eigener
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