Die Krieger 4 - Das Geheimnis der Pforte
nicht, wenn seine ungebetenen Gäste wach waren. Ihr letzter Versuch, mit der Außenwelt in Verbindung zu treten, hatte ihn in höchstem Maße verärgert, und es war ihnen nicht gelungen, ihn umzustimmen, sosehr sie auch bettelten, flehten oder gar drohten. Da sie gegen seine Macht nichts ausrichten konnten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich seinem Willen zu beugen und ihre Enttäuschung, Wut und Verzweiflung für sich zu behalten.
Seufzend machte er sich wieder auf den Weg zu den anderen. Ihre kleine Schar, dreizehn an der Zahl, lebte hier unter sehr merkwürdigen Bedingungen. In ihrer Höhle gab es keine Stühle oder Tische, keine Decken oder Kissen; sie schliefen auf der nackten Erde, was trotz des steinigen Bodens erstaunlich bequem war. Sie benötigen auch keine Kleider zum Wechseln, denn hier schwitzte man nicht und wurde niemals dreckig. Genauso wenig brauchten sie Lebensmittel, da sie in den Gärten keinen Hunger verspürten. Im Grunde hatten sie kein einziges körperliches Bedürfnis. Das Einzige, was sie ihrem Körper noch abringen konnten, war Schlaf, aber auch den durften sie sich nur in Maßen gönnen. Wer sich zu lange im Gras ausstreckte, lief Gefahr, von den Gärten verschluckt zu werden, so wie auch jeder niedergetretene Grashalm und jedes umgeknickte Blatt wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt wurde. Deshalb wachte immer einer der Sterblichen über die anderen. Mehr blieb ihnen nicht zu tun.
Vor dem Eingang wartete ein von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleideter Mann mit schwarzem, von grauen Strähnen durchzogenem Haar auf ihn. Ihm machte die Untätigkeit besonders zu schaffen. Wäre es möglich gewesen, so hätte er keine Dezille gezögert, in die Welt unter ihrem grünen Gefängnis hinabzusteigen und die Flucht durch weitaus gefährlichere Gefilde zu wagen.
Und der Kaulaner wäre ihm gefolgt. Beide sorgten sich um ihre Söhne, so wie auch ihre Gefährten um das Leben eines oder mehrerer geliebter Menschen bangten. Auf den fragenden Blick des Kriegers antwortete er mit einem traurigen Kopfschütteln. Die Umgebung hatte sich nicht im Geringsten verändert. Es würde ein Tag wie jeder andere werden. Der Mann in Schwarz brummte ein
»Sakkar!«
und stapfte von dannen, die Hand am Griff seines überflüssig gewordenen Krummschwerts. Wenn sie nur ein Seil gehabt hätten, ein sehr langes und kräftiges Seil! Aber selbst all ihre Kleidungsstücke auseinandergebunden ergäben nicht mehr als ein paar mickrige Ellen. Etliche von ihnen waren halbnackt und tropfnass gewesen, als es sie hierher verschlagen hatte. Obwohl man in den Gärten nicht unter Hitze oder Kälte litt, hatten sie die wenigen Kleider, die sie besaßen, untereinander aufgeteilt, vor allem den beiden Kindern zuliebe, zwei kleinen Jungen im Alter von vier und sechs Jahren, die zutiefst verstört auf die neue Umgebung reagiert hatten.
Nachdem er den Unterschlupf betreten hatte, ließ er den Blick über seine Gefährten wandern. Die beiden jungen Paare mit den Kindern und der Großmutter bildeten einen kleinen Klan für sich. Zu ihrer Notgemeinschaft zählten außerdem eine ältere Frau von etwa sechzig Jahren, die ihr Los wie alles in ihrem Leben mit großer Würde trug, und ein Herzog, dem meist der Schalk im Nacken saß. Doch auch er war von Tag zu Tag stiller geworden, und die Einzige, die ihm noch ein Lächeln zu entlocken vermochte, war seine Frau, eine Priesterin, die allem Kummer zum Trotz weiter Kraft aus ihrem Glauben schöpfte. Erst ganz zum Schluss entdeckte er seine Liebste.
Sie saß an die Wand gelehnt da und brütete vor sich hin. Der Anblick tat ihm in der Seele weh. Seit ihrer Kindheit hatten sie nahezu jeden Tag miteinander verbracht Er bewunderte, ja liebte ihre Offenheit, ihre Beharrlichkeit, ihre Willensstärke. Alles, was sie anpackte, gelang ihr. Als sie es nicht länger anderen überlassen wollte, ihr Leben zu verteidigen, hatte sie sich innerhalb weniger Monde zu einer gefährlichen Kriegerin entwickelt. Als sie ihre Leidenschaft für Pferde entdeckte, hatte sie in kürzester Zeit ein Gestüt aufgebaut, das mittlerweile in den gesamten Oberen Königreichen berühmt war. Ja, sie war tapfer und voller Tatendrang. Zumindest war sie es gewesen, bis man ihr den Sohn genommen hatte. Es brach Yan das Herz, Leti so zu sehen.
***
Amanon machte sich darauf gefasst, etwas Feuchtes oder Kaltes auf der Haut zu spüren, doch als er durch die Pforte ins Jal trat, empfand er seltsamerweise nichts.
Weitere Kostenlose Bücher