Die Krieger 4 - Das Geheimnis der Pforte
sagte Kebree.
Da er keine Antwort erhielt, ging er mit nacktem Oberkörper auf den See zu. Er war noch nicht ganz am Ufer angelangt, da schnellten die Feuerschlangen auf ihn zu, schlugen vor ihm auf den Felsboden auf und zerstoben in Tausende Funken. Zornig schleuderte Keb sein Bündel in Richtung der Pforte, die hinter dem lodernden See kaum mehr zu erkennen war. Noch bevor sich die Kleider der Seeoberfläche näherten, schnappten einige Undinen danach und ließen sie in einem Feuerball aufgehen.
»Jetzt weißt du es«, brummte Amanon.
»Die Schlangen dürfen uns auf keinen Fall berühren«, warnte Bowbaq. »Rey und Grigän haben es zugelassen, und sie hatten beide eine ganz seltsame Vision.«
Zejabel betrachtete die zuckende Masse, aus der unentwegt einzelne Feuerwesen hervorschossen und wieder abtauchten. Manchmal hatte sie fast das Gefühl, dass sich das Knistern und Prasseln zu Worten formte. Nun verstand sie auch besser, warum man diesen Ort den Flüstersee nannte.
Sie drehte sich zu den anderen um. Nach allem, was sie im letzten Dekant erlebt und erlitten hatten, lag ihnen viel auf dem Herzen, doch vorerst saßen sie nur stumm beisammen und genossen die kurze Atempause und das Glück, noch am Leben zu sein. Da es offenbar niemanden zum Aufbruch drängte, nahm sich Zejabel die Freiheit heraus, in Erynes Gepäck nach einem edlen und zugleich bequemen Kleid zu suchen. Dann zog sie Eryne an der Hand hoch und führte sie in eine etwas abseits gelegene Nische. »Du musst dich umziehen«, sagte sie in bestimmtem Ton. »Eryne, ich weiß, dass du mich hörst. Willst du deinen Eltern etwa in diesem blutverschmierten Kleid gegenübertreten?«
Zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr ins Leben füllten sich Erynes Augen mit Tränen. »Es tut mir so leid …«, hauchte sie. »Ich hatte solche Angst, ich wusste nicht mehr weiter, und dabei habt ihr … Ihr habt es geschafft … Ihr seid alle hier …«
»Du
auch«, erwiderte Zejabel. »Komme, was wolle, wir bleiben zusammen!«
Anstatt sie mit diesem Versprechen wie erhofft zu beruhigen, brach Eryne in lautes Schluchzen aus. Immerhin hatte sie endlich das verstörte Schweigen gebrochen, das Zejabel nicht geheuer gewesen war. Insgeheim hatte sie schon befürchtet, der Schock habe ihr den Verstand geraubt. Teilnahmsvoll blieb sie neben Eryne stehen, bis sie sich ausgeweint hatte, dann half sie ihr aus dem Kleid und ließ sie allein, damit sie sich umziehen konnte.
Im Grunde wusste sie nur zu gut, was Eryne empfand. Nun hatte sie den untrüglichen Beweis, dass sie unsterblich war, und damit gab es keinen Zweifel mehr, welches Schicksal sie erwartete: Sie würde die Menschen, die sie liebte, einen nach dem anderen sterben sehen, ohne ihren Tod verhindern oder ihnen ins Jenseits folgen zu können. Die Aussicht auf ein solches Dasein hätte wohl jeden zur Verzweiflung getrieben.
Als sich Eryne angekleidet hatte, gingen die beiden Frauen zurück zu den anderen. Nacheinander trat Eryne zu jedem ihrer Freunde und legte ihnen die Hände auf die Wunden, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Von Dekant zu Dekant wurden ihre heilenden Kräfte stärker. Selbst im Karu wirkte die Macht der barmherzigsten aller Göttinnen.
»Also hat Zuia auch in dieser Hinsicht gelogen«, sagte Zejabel nachdenklich. »Sie behauptete, selbst nicht ins Tal zurückkehren zu dürfen. Eryne konnte die Pforte aber ohne weiteres durchschreiten.«
»Alle Unsterblichen sind in der Lage, die Pforten zu finden«, pflichtete Amanon ihr bei. »Diese Fähigkeit kommt sicher nicht von ungefähr.«
»Vielleicht fürchtet selbst Zuia die Macht dieses Ortes«, überlegte Bowbaq.
Alle drehten sich zu ihm um. Zejabel ahnte, dass er keine gute Nachricht für sie hatte.
»Das Kam ist sehr rätselhaft«, fuhr Bowbaq fort. »Die Zeit verstreicht hier nicht wie in unserer Welt. Entfernungen und Richtungen folgen keiner ersichtlichen Logik. Und … es verändert uns. Es kehrt das Schlechte in uns hervor. Ich glaube nicht, dass es für Eryne gut ist, wenn wir noch länger hierbleiben.«
Unwillkürlich wanderte sein Blick nicht zu Eryne, sondern zu Cael. Doch auch so hatten alle verstanden, was er meinte.
Wenn die Erben nicht so schnell wie möglich einen Weg aus den Höhlen fanden, würden bald die ersten Feindseligkeiten ausbrechen. Angst, Wut, Eifersucht – all ihre inneren Dämonen und schwärzesten Gefühle würden im Kam zum Vorschein kommen.
Vor dreiundzwanzig Jahren hatte ein Kobold namens Lloiol
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