Die Krieger 4 - Das Geheimnis der Pforte
hinabzusteigen. Selbst die Wachen, die ihm die zum Tode Verdammten brachten, kamen nicht immer mit dem Leben davon. Sombre genoss es, sie zu töten, da die Soldaten sich besser zu verteidigen wussten. Manchmal ließ er seinen Opfern sogar ihre Waffe, bevor er ihre Eingeweide über den Boden verteilte.
Er hätte den Gefangenen natürlich auch sofort den Kopf abreißen können, aber meistens ließ er die Sterblichen noch ein paar Tage zappeln und ergötzte sich an ihrer Angst, so wie er es einst in seinem Mausoleum getan hatte. Für gewöhnlich schickte ihm Agenor Gauner, Bettler und Deserteure, manchmal jedoch auch bedeutendere Persönlichkeiten: Generäle, die es gewagt hatten, gegen die Eroberungspläne ihrer Königin zu protestieren, Minister, die Zweifel an den Beweisen hatten, mit denen Agenor Gorans Schuld an der Ermordung der Thronfolger belegte, und all jene Mitglieder des Hofstaats, die dem neuen Regime mehr oder minder feindlich gegenüberstanden und in der Stille der Nacht von der Grauen Legion aus ihren Betten geholt und ihm zum Fraß vorgeworfen wurden. Bei ihnen ließ sich Sombre besonders viel Zeit. Ihre Verzweiflung war unterhaltsamer, da sie sich erbitterter wehrten als das gemeine Gesindel. Aber irgendwann mussten auch sie daran glauben.
Gelangweilt ließ er das Häuflein Mensch fallen, das er gerade zwischen seinen vier Armen zerquetscht hatte, und nahm seiner Verbündeten zuliebe die Gestalt eines jungen Mannes an. Sie sah es nicht gern, wenn er als abstoßendes Ungeheuer in Erscheinung trat, und so verzichtete er in ihrer Anwesenheit darauf, obgleich er nicht sagen konnte, warum. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie ihm in seiner Menschengestalt noch mehr Bewunderung entgegenbrachte.
Am Fuß der Treppe angekommen, betrachtete Agenor die menschlichen Überreste, die in dem gewaltigen Kerker verstreut lagen, und die noch lebenden Gefangenen, die sie aus ihren winzigen Verliesen um Gnade anflehten. Hätten sie die alte Frau ebenso gut gekannt wie Sombre, so hätten sie sich die Mühe gespart. In den Augen der Königin gehörten diese wimmernden Jammergestalten längst der Vergangenheit an, und auch der Anblick der verstümmelten, zerfetzten Kadaver, die sich in den Winkeln des Kerkers häuften, ließ sie vollkommen ungerührt. Sie würde ein paar Hungerleider damit beauftragen, den Unrat wegzuschaffen, bevor auch deren Blut in die Fugen des Steinbodens sickerte und sich dort für immer mit der Erde vermischte. Sombre hielt sich erst seit einem Mond hier unten auf, doch der Geruch von Tod und Verwesung, der in der Luft hing, erinnerte ihn schon an das Kam. Eigentlich fühlte er sich hier fast heimisch.
Agenor hingegen konnte den Gestank nicht lange ertragen. Sie presste sich ein besticktes Taschentuch vor die Nase und winkte ihren Ziehsohn zu sich. Der Dämon war versucht, genüsslich durch die Blutlachen zu waten, doch da ihm das Wimmern der Sterblichen auf die Nerven ging, begab er sich lieber gleich zum Fuß der Treppe.
»Sie sind immer noch im Jal«, sagte er schmollend.
»Das kannst du doch nicht wissen, mein Schatz. Vielleicht haben sie es längst durch eine andere Pforte verlassen.«
»Ich habe nicht genügend Lemuren nach Ith geschickt«, klagte der Dämon. »Wenn sie sieben von ihnen bezwingen konnten, so werden zwölf auch nicht reichen. Ich werde dreißig herbeirufen, und noch einmal so viele schicke ich nach Sol und auf die Insel Ji!«
Agenor schenkte ihm ein nachsichtiges Lächeln, als wäre er ein bockiges Kind, das sie trotz seiner Unartigkeit entzückend fand. Dann zog sie ihn die Treppe hoch.
»Du hast mir doch erzählt, dass die Zeit im Jal auf andere Weise verstreicht«, erinnerte sie ihn. »In unserer Welt sind vier Tage vergangen, im Jal womöglich erst einer. Nur Geduld, mein Schatz. Sie werden schon wieder auftauchen. Und was die Lemuren angeht … Vergiss nicht, dass wir sie bald brauchen. Hebe sie dir für den Beginn deiner Herrschaft auf.«
Aus Prinzip wollte Sombre protestieren, wütend werden, seinen Kopf durchsetzen, aber er brauchte den Geist seiner Verbündeten nur kurz zu streifen, um sich zu vergewissern, dass sie tatsächlich nichts als seinen Ruhm und Glanz im Sinn hatte. Und sie hatte recht. Wie immer.
»Ich will dir etwas zeigen«, sagte sie. Sie schien es kaum erwarten zu können, ihm ihre Überraschung vorzuführen.
Der Dämon wusste bereits, worum es sich handelte. Seit ihrer ersten Begegnung hatte sie unentwegt darüber nachgedacht. Mithilfe
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