Die Krieger der Königin: Falkenherz
über ihren glatten Kopf. Einst hatte sie so dunkle und lange Haare gehabt wie jede der Frauen im Harem. Sie hatte unendliches Selbstvertrauen entwickeln müssen, um dort herauszukommen. Jetzt war dieses Selbstvertrauen erschüttert. Zum ersten Mal seit Jahren wusste sie nicht, was sie tun sollte.
»Etwas ist in diesen Krieger gefahren«, erklärte sie ihrem Bruder. »Er tötet jeden. Wir müssen ihn irgendwie aufhalten. Ihm andere Krieger auf den Hals hetzen.« Nur dass sie diesen Befehl nicht geben konnte. Und auch Shalatar nicht. Niemand außer der Erste der Kriegssylphen der Arena oder der Kaiser selbst konnte das.
Der Kaiser war unerreichbar, aber an den Ersten konnten sie herantreten, wenn sie es wagten. Er würde sie beide töten lassen, wenn er alles herausfand, aber wie sollten sie ihn davon abhalten, es zu erfahren? Wie sollten sie dieses Debakel vertuschen?
Rashala hörte draußen Schmerzensschreie. Sie hörte, wie Metall brach und Leute wegrannten, die meisten von ihnen barfuß. Die Wärterinnen und Konkubinen duckten sich verängstigt, alle, bis auf das strohhaarige Mädchen. Sie schaute entspannt zur Tür, und Rashala hatte eine weitere Eingebung.
Sie verstand endlich, hinter wem der Krieger her war.
Leon stand neben den Hütten der Ausgestoßenen und schaute zu Eapha und Zwo. Er konnte die Frau in der Dunkelheit kaum sehen. Sie war nur eine Silhouette vor dem flackernden Blitzen, welche die Wolke des Kriegers erfüllten. Etwas unendlich Intimes ging vor sich, und sie waren so still, dass er den Blick abwandte, weil er ihre Privatsphäre nicht stören wollte, egal, wie verzweifelt er auf ihren Erfolg hoffte.
Als er sich umdrehte, entdeckte er Justin. Der Junge stand nur ein paar Schritte entfernt und hatte offensichtlich zu viel Angst, um mehr Abstand zu halten. Leon streckte den Arm aus und legte eine Hand beruhigend auf die Schulter des Jungen, wobei er die Anspannung in den Muskeln fühlte. Justin zuckte nicht zusammen, aber es war klar, dass er Angst hatte. Leon machte sich Sorgen, dass er für den Rest seines Lebens Angst haben würde.
»Wir werden bald nach Hause fahren«, versprach er. Als der Junge nickte, atmete Leon tief durch. »Justin, wegen Lizzy und dir … Ich glaube … Ich glaube, es wird nicht geschehen.«
Der Junge entwand sich seinem Griff, und im Halbschatten erkannte Leon, dass er sich verraten fühlte. Leon ließ den Arm sinken. »Justin …«
Der Junge schüttelte den Kopf und zeigte auf sich selbst. Er stach sich mehrmals heftig gegen die Brust. Leon hatte keinen Zweifel daran, was er sagen wollte.
»Justin, Ril …«
Der Junge schüttelte den Kopf nur noch heftiger, stieß sich wieder gegen die Brust und rammte dann seine Fäuste gegen Leons Brust. Es tat nicht weh, aber die Gefühle waren da, und Leon ließ es zu. Er konnte die Wut des Jungen verstehen und fühlte seine eigenen Schuldgefühle darüber, dass er den Jungen mitgenommen und zugelassen hatte, dass er gefoltert wurde. Aber er konnte das, was der Junge wollte, nicht tun. Nicht, ohne seinen Krieger – und, was im Moment noch wichtiger war – und auch seine Tochter zu verraten. Sie hatte ihre Wahl getroffen und klargestellt, dass sie Ril wollte und nicht Justin. Und auch wenn die Regeln von Sylphental ihm nicht die Möglichkeit genommen hätten, den Ehemann seiner Tochter auszuwählen, hätte er Lizzy niemals jemanden aufgezwungen. Das wäre nur eine andere Form der Sklaverei gewesen als die, vor der er sie gerade zu retten versuchte. Justin mochte behaupten, es wäre unfair, aber wirklich unfair wäre es, ihm eine Ehefrau zu geben, die ihn nicht liebte. Jeder Mensch verdiente etwas Besseres als das.
»Justin, ich weiß, dass ich gesagt habe, ich würde dir meinen Segen geben, aber ich habe auch gesagt, dass ich es nur tue, wenn Lizzy dich ebenfalls will. Wir wissen beide, wie sie sich entschieden hat. Es tut mir leid.«
Justin schüttelte weiterhin den Kopf und schlug erneut auf Leon ein. Er weigerte sich, die Worte anzuerkennen. Der Mund des Jungen bewegte sich, ohne dass ein Laut hervorkam, aber Leon konnte die Worte von seinen Lippen lesen.
Sie sollte mir gehören.
»Sie gehört überhaupt niemandem«, sagte Leon. »Nicht einmal mir. Ich kann sie dir nicht einfach geben. Sie hat sich für jemand anderen entschieden. Das musst du akzeptieren.«
Wieder folgte das verzweifelte Kopfschütteln, und Leon kniff die Augen zusammen, um die Lippen des Jungen zu lesen.
Nein! Ich liebe sie!
Leon
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