Die Kriegerin der Kelten
Grüppchen im Großen Versammlungshaus von Mona einzufinden. Luain mac Calma wartete bereits auf sie, um mit ihnen die Visionen der vergangenen und auch aller vorherigen Nächte zu besprechen und um zu klären, wie die Träumer daraus eine Verteidigungsstrategie für die Insel und alles, was diese Insel ausmachte, entwickeln könnten.
Unten am Bach, wo vor kurzem noch in einem dampfenden Kessel der Brennwurz gekocht hatte, hielt Gunovar abrupt inne, hörte auf, ihren Kessel auszukratzen, und erhob sich mit gerunzelter Stirn. »Graine, willst du nicht auch mitkommen? Denn was immer auch passiert sein mag, so bist du doch noch immer von Rechts wegen und von Geburt an eine Träumerin. Man würde dich sicherlich mehr als willkommen heißen.«
Graine stand bis zu den Waden im Bach und reinigte sich von den klebrigen Überresten, die während des Kochens auf sie gespritzt waren. Bräunliches Wasser wirbelte in kleinen Strudeln um sie herum, die dunkle Schlieren aus Torf von Graine forttrugen. Nur schwach konnte sie noch die Kieselsteine und den Sand und die helle Kontur ihrer Füße erkennen. Der rechte war vom Rist bis zum Knöchel hinauf noch immer schwärzlich violett verfärbt, eine Erinnerung an jenen Mann, den Graine von sich wegzutreten versucht hatte, und der dafür ihren Fuß gepackt, ihn in seiner Hand gequetscht und dabei gewaltsam nach außen gedreht hatte.
Graine musterte ihre Verletzung und bemühte sich, nicht mehr an den Schmerz zu denken, sondern auf Gunovars Frage zu antworten.
Bellos und Luain mac Calma meinen, ich wäre der tanzende Stein auf dem Spielbrett , dachte Graine im Stillen. Und diese Vorstellung macht mir sogar noch mehr Angst als die Tatsache, dass ich meine Gabe zu träumen verloren habe. Denn ich habe keine Ahnung, was ich tun sollte oder wann ich handeln sollte oder ob ich überhaupt in der Lage wäre zu handeln, wenn sich herausstellen sollte, dass ich in diesem Krieg tatsächlich das Zünglein an der Waage, der tanzende Stein bin.
Laut hingegen antwortete sie: »Ich habe seit meiner Ankunft hier nichts mehr geträumt. Heute Morgen hatte ich vielleicht noch einen vagen Traum von irgendetwas, aber ich erinnere mich nicht mehr genau.«
Gunovar stellte ihren Topf umgekehrt auf das feuchte Gras. Mit einiger Mühe richtete sie sich wieder auf und entgegnete: »Vielleicht irrt Bellos sich ja auch. Und auch mac Calma kann mal ein Fehler unterlaufen. Das wäre zumindest nicht das erste Mal, dass auch ein Träumer von seiner Begabung sich mal irrt.« Nicht die kleinste Regung schien sich in ihrem Gesicht zu spiegeln, weder bot sie Graine ihr Mitgefühl an, noch forderte sie sie zu irgendetwas heraus.
Unbeweglich stand Graine im Wasser des Bachs. Ihre Beine waren eiskalt. Doch das registrierte Graine nur am Rande, ganz so, als seien ihre Glieder in Wahrheit Teil irgendeines anderen Körpers, um den sie sich eventuell einmal kümmern sollte. Falls sie denn die Lust dazu verspürte.
Den Großteil ihres jungen Lebens hatte sie in dem Glauben gelebt, dass es im Grunde doch keine große Sache sei, wenn sie die Gedanken der sie umgebenden Menschen las. Das fiel ihr nicht schwer - oder zumindest dann nicht, wenn die Gedanken, die diesen Menschen durch den Kopf gingen, zugleich mit intensiven Gefühlsregungen verknüpft waren. Sie hatte nie verstanden, warum das nicht jeder konnte und manche sogar Angst bekamen, wenn Graine mal wieder ihre geheimsten Sehnsüchte aussprach. Nun jedoch verstand sie nur allzu gut, wie einen diese Fähigkeit vor Staunen verstummen lassen oder wie man sich davor gar fürchten konnte. Und sie begriff, dass ihr somit nicht nur die Gabe des Träumens, sondern auch die des Gedankenlesens abhanden gekommen war.
Ein harter Kloß schien sich in ihrer Kehle zu bilden, so dick, dass er sich nicht hinunterschlucken ließ. »Dann hast du mich also auch schon als den tanzenden Stein auf dem Spielbrett gesehen?«, fragte sie.
Echtes Mitgefühl hatte die Züge der Frau ganz weich werden lassen. »Nein. In meinen Träumen bist du ein Kind, das schwer misshandelt worden ist und das dennoch wieder geheilt werden könnte. Auf Mona leben mächtige Kräfte, mehr, als dir bislang begegnet sind. Die könnten deine Seele wieder zusammenfügen. Im Herzen dieser Kräfte steht das Große Versammlungshaus, und falls wir heute bei der Verteidigung unserer Insel versagen sollten, könnte es passieren, dass das Große Versammlungshaus morgen nicht mehr existiert. Und du willst dennoch nicht mit
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