Die Kriegerin der Kelten
schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass wir wieder gehen müssen. Komm und sieh dir das eingemeißelte Bild selbst mal an.«
Graines Fingernägel waren schwarz. Auf dem Gras lagen Klumpen von zerrupftem Moos, und der Stein, auf dem das Moos gehaftet hatte, war mit einem Schlammfilm und Erdkrümeln bedeckt. Sie waren zu großen Bögen verschmiert, verteilt von einer kleinen Hand, die versucht hatte, die steinerne Platte zu reinigen und stattdessen den lehmigen Boden nur noch tiefer in die eingemeißelten Linien und Rillen hineingetrieben hatte, sodass ihr Muster so deutlich hervortrat, als ob es frisch aufgemalt worden wäre.
Dort, mitten im Wald der Götter, prangte direkt vor Breacas Augen jenes Symbol, das ihr schon durch ihre gesamte Kindheit hindurch gefolgt war; das sie durch die grundverschiedenen Phasen ihres Erwachsenenlebens geführt hatte; das sie als Ranghöchste Kriegerin von Mona, als Bodicea, Mitanführerin der westlichen Stämme gemeinsam mit Caradoc, als Breaca von Mona und, später, als Breaca von den Eceni, als Breaca, Mutter ihrer Kinder, und als die Bodicea, die untätige Anführerin eines Kriegsheeres, stets begleitet hatte. Während all dieser Jahre war der Schlangenspeer ihr spezielles Zeichen gewesen. Und nun war das Symbol abermals vor ihre Augen getreten, auf einem von Moos bedeckten Stein und in einer gänzlich neuen Form, die Breaca noch nie gesehen hatte.
Während sie auf der Erde kniete, zeichnete sie langsam mit dem Finger die geschwungenen Linien nach. Eine doppelköpfige Schlange verschlang sich in sich selbst und blickte damit zugleich in die Zukunft wie auch in die Vergangenheit. Quer über der Schlange lag ein zerbrochener Speer und verband mit seinem Zeichen die Götter mit der Erde. Um diese beiden Symbole herum schloss sich ringförmig das älteste aller göttlichen Zeichen, eine im Zickzack verlaufende Linie, zu deren beiden Seiten eine gleichmäßige Reihe kleiner Punkte verlief. Die Punkte symbolisierten den Mond. Und genau diese Zickzacklinie mit den Mondpunkten war es, die das Zeichen der Bodicea einer höheren
Macht widmete, womit das Symbol plötzlich eine wesentlich tiefer gehende Bedeutung besaß, als wenn es weiterhin bloß das Erkennungszeichen einer, wenngleich auch von den Göttern begnadeten, Kriegerin gewesen wäre. Ja, diese eine Linie ließ die doppelköpfige Schlange und den Speer in der Hierarchie der Zeichen sogar eine noch gewichtigere Stellung einnehmen, als sie dem Traum einer Ahnin zugekommen wäre. Egal, wie alt und weise diese Ahnin auch sein mochte.
Mit vor Erregung heiserer Stimme sagte Breaca: »Die beiden hier sind Briga gewidmet. Sowohl das Zeichen als auch der Altar.«
Sie ließ sich auf ihre Fersen zurücksinken. Aller Schmerz und selbst die Mühen, die es sie gekostet hatte, den Bach zu durchwaten, waren vergessen. Der Rotdornpfahl lag unberührt an ihrer Seite. Die ganzen Jahre über hatte Breaca geglaubt, dass das Zeichen allein ihr gehörte, dass es ein Geschenk der Älteren Großmutter gewesen sei. Stets hatte sie es vor jeder Schlacht immer wieder aufs Neue auf ihr Pferd und ihren Schild gemalt, sodass es irgendwann eins geworden war mit dem Namen der Bodicea. Erst später, in dem Jahr, als Graine geboren wurde, hatte Breaca herausgefunden, dass es schon lange, bevor sie das Zeichen für sich entdeckt hatte, bereits einmal der Träumerin der Ahnen gehört hatte. Es hätte Breaca also im Grunde nicht sonderlich überraschen dürfen, dass das Symbol noch vor allen Menschen, die sich dieses Zeichen zu ihrem ganz speziellen Erkennungsmerkmal auserkoren hatten, ursprünglich und zuallererst Briga gewidmet worden war, der Mutter aller Götter und der Bewahrerin des Lebens und des Todes, der Göttin der Schlacht, der Gebärenden, des Schmiedehandwerks und der Poesie. Denn sie allein war jene Göttin, die genau das praktizierte, was der Schlangenspeer symbolisierte. Sie existierte auf der Scheidelinie zwischen Leben und Tod, jenem schmalen Grat, der die eine Seite des Daseins mit der anderen verband. Auf ganz ähnliche Weise definierte sich auch das Wesen des Speers in der Schlacht, dessen Spitze über Leben und Tod entschied. Und auch die Schlange, die Haut um Haut wechselte, die vom einen Leben ins andere zu gleiten schien und die die geisterhafte Hülle ihres alten Wesens stets aufs Neue einfach hinter sich ließ, entsprach diesem Sinnbild.
Als Kriegerin, als Mutter und als Schmiedin hatte Breaca ihr Leben stets im Glauben an die
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