Die Kriegerin der Kelten
in Zukunft so bleiben. Doch endlich hatte er gelernt, wie er diese Emotionen beiseiteschieben konnte. Und genau das tat er.
Tief atmete er die letzten feinen Schwaden von Graines Räucherwerk ein, fühlte sie durch seinen Gaumen dringen und ließ die Rauchschwaden seinen Geist entfesseln. Und plötzlich konnte er wieder klar sehen. Er sah das Flechtwerk, zu dem die Träume und die Wurzeln der Ahnen sich zusammengefügt hatten, und er sah jenen hellen Punkt, der Luain mac Calma war und der all diese Gedankenstränge in seiner Mitte vereinte. Und Bellos sah die Göttin, jene Macht, die er schon seit Ewigkeiten in seiner Seele spürte und der er doch nie einen Namen gegeben hatte. Endlich begriff Bellos, dass er ein Teil dieses Flechtwerkes war, und sanft ließ er seinen Geist emporsteigen, um frei über dem Flechtwerk zu schweben.
Die Flammen wichen auseinander, ließen Bellos hindurch.
Das Wesen der Angst trat auf ihn zu und teilte sich in zwei Hälften, erzählte Bellos zum einen von den Männern aus dem Meer, die sich vor der kommenden Schlacht fürchteten, und zum anderen von den Männern jenseits der Meerenge, die wiederum Angst hatten, an genau dieser Schlacht auf der Insel nicht teilhaben zu können. Laut sprach Bellos: »Paulinus hat nicht alle seine Männer gegen Mona geschickt. Nur die Zwanzigste Legion wurde ausgesandt. Die Vierzehnte hält er noch in Reserve. Und das ist nicht das, was Graine in ihrem Feuertraum gesehen hatte.«
»Aber das reicht uns bereits. Der Rest kommt vielleicht noch nach. Für heute müssen wir es erst einmal nur mit den Männern aufnehmen, die uns unmittelbar gegenüberstehen.«
Und das waren mehr als genug. Denn hinter den Kavalleristen ruderten noch fünftausend weitere Legionare in ihren Leichtern gegen die Strömung und mit Kurs auf Mona. Bellos versuchte, sich zu erden, warf das Netz seiner Gedanken weit aus, um alle fünftausend Soldaten und fünfhundert Kavalleristen auf einmal erfassen zu können. Und dann begann er damit, ihre zappelnden und sich in seinem Griff windenden Seelen aus diesem Netz herauszupicken. Wie Fische sammelte er sie zusammen, um sie dann jenen zu übergeben, die damit am besten etwas anzufangen wussten.
In der Welt aus Fleisch und Erde presste er seine Handflächen fest gegen den Fels und stand auf. Unter seinen Füßen verwandelte sich Stein zu Kies und wurde Kies schließlich zu Sand, und vor ihm stand eine Reihe von dreitausend Träumern, der gegenüber sich wiederum langsam zwölftausend Legionare postierten. Bellos spürte jeden einzelnen der feinen Blitze, als welche die Seelen dieser Menschen ihm vor Augen zu treten pflegten. Und er konnte jedem einzelnen dieser Blitze einen Namen zuordnen, konnte genau sagen, welche Farbfacetten ein jeder aus seinem gleißend weißen Licht in die Welt entließ und welche er zurückbehielt. Und er konnte die Folgen benennen, die eintreten würden, wenn auch nur einer dieser Blitze erstürbe.
Die Zeit eröffnete ihm ihr Geflecht, und Bellos konnte sehen, welche der Menschen bereits dazu bestimmt waren, heute zu sterben, und welche wiederum erst später in das Land hinter dem Leben eintreten würden. Er wusste genau, wann ein jeder von ihnen gehen müsste. Und er sah auch Thorn, sah sie den Fluss überqueren und in Brigas Obhut entschwinden, und er wusste, wann und wo und unter welchen Umständen sie von ihm gehen würde. Vor allem aber war er erstaunt, mit welcher emotionalen Distanz er dies alles betrachtete.
Bellos schritt über den Strand von Mona, marschierte an der Reihe von Träumern entlang, ging von einem strahlenden Licht weiter zum nächsten und erklärte den Männern und Frauen, was er in seiner Vision gesehen hatte: »Ihr seid die Seelen aller niedergemetzelten Großmütter, ihr seid gekommen, um euch an euren Mördern zu rächen. Ihr seid die Kinder, die wandelnden Toten. Ihr seid die geblendeten Frauen, gewandet in tiefstes Schwarz und geisteskrank vor Kummer und Zorn. Ihr könnt nicht noch einmal getötet werden.«
Nichts von alledem war neu. Bellos hatte auch bei früheren Gelegenheiten bereits von den Ängsten der Legionare erzählt, hatte von ihren Schwachpunkten berichtet, während er im Frühling im Großen Rundhaus von Mona ausgeharrt hatte und an genau jenem Albtraum schmiedete, mit dem die Träumer den Legionaren schließlich den Schlaf vergifteten. Jetzt aber verfuhr Bellos im Grunde genau umgekehrt, nun passte er die Träumer in den Traum ein, wobei er einem jeden von ihnen eine
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