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Die Kriegerin der Kelten

Die Kriegerin der Kelten

Titel: Die Kriegerin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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dagegen, warum man diesen Toten nicht auch einfach langsam auf den Grund des Meeres sinken lassen könnte, quasi als Futter für die Geschöpfe Manannans und als Dank für deren Unterstützung in der Schlacht gegen die Römer.
    Graine saß am äußersten Rand des Fähranlegers von Mona und ließ die Füße unmittelbar über der leise plätschernden Wasseroberfläche baumeln. Nachdenklich betrachtete sie den Toten, der immer wieder sanft gegen einen der eichenen Poller stieß. Der Mann trug zwar keine Rüstung, aber auch das besagte im Grunde noch gar nichts. Denn gut die Hälfte aller Legionare hatte irgendwann im Laufe der Überquerung der Meerenge die Rüstung abgeworfen. Der Zorn des Meergottes, der ihnen mit immer höher schlagenden Wellen entgegenbrandete, hatte sie beinahe zu Tode geängstigt. Für Männer, die mit ihrem Schwert lebten und stets davon ausgingen, irgendwann auch unter einem solchen zu sterben, war die Aussicht auf einen Tod durch Ertrinken beinahe ebenso schrecklich wie der Gedanke, in einem Feuer ums Leben zu kommen. Lieber traten sie ihren Feinden ohne jegliche schützende Rüstung gegenüber, als den gierigen Wogen zum Opfer zu fallen und noch bei lebendigem Leibe unter die Wasseroberfläche gezogen zu werden.
    Immer wieder stieß ein kieloben auf dem Wasser treibender Leichter gegen den Mann. Ganz ähnlich einer Mutterkuh, die ihr Kalb in eine bestimmte Richtung zu drängen versuchte, schien das Boot den Leichnam aufs Meer hinausschubsen zu wollen. Die Leiche drehte sich sacht, wobei sie ihre Glieder wie ein Seestern weit von sich streckte. Der rechte Unterarm allerdings fehlte. Blut trat in trägen Schlieren aus der Wunde am Stumpf aus und besudelte die Krebse und das graugrüne Seegras. Über den Oberarm des Mannes schlängelte sich eine Tätowierung in Richtung Achselhöhle empor, und tief in Graines Innerem rief dieses Muster einige vage Erinnerungen wach - doch die Bilder blieben verschwommen. Überhaupt war ihre Wahrnehmung wie betäubt. Das Grauen der Schlacht hatte ihr Denkvermögen fast komplett zum Erliegen gebracht, und bislang hatte Graine noch keine Mittel und Wege gefunden, um ihr Bewusstsein wieder zu klären. Sie starrte einfach nur hinaus auf das Wasser und versuchte, sich wenigstens noch so weit konzentrieren zu können, um ein stummes Gebet an die Götter zu schicken. Aber auch das gelang ihr nicht.
    »Das ist einer von den Batavern. Ich habe gehört, wie er ins Wasser gefallen ist«, erklärte Bellos, der sich in diesem Moment neben Graine niederließ. Er trug einen Stock bei sich, das war neu. Der Stock war sehr lang, in sich gedreht und kunstvoll bemalt. Graine dachte, dass diese Art Gehhilfe aussah, als wäre sie aus Rotdornholz, doch sie war sich nicht sicher. In jedem Fall schien der Stock von Luain mac Calma gefertigt worden zu sein. Wahrscheinlich ein Geschenk, das er Bellos vor der Schlacht gemacht hatte. Vorsichtig nahm Graine den langen Stock an sich und langte damit hinab ins Wasser. Der Griff an seinem Ende war aus dem Horn eines Widderbocks gefertigt, mit dem Graine nun unter die Schulter des Toten hakte und ihn schließlich umdrehte, um sein Gesicht erkennen zu können. Langsam öffnete sich sein Mund, und makellos weiße und ebenmäßige Zähne wurden sichtbar. Er hätte also trotz Bellos’ Einschätzung auch ein Silurer gewesen sein können.
    »Woher weißt du, wer er war, wenn du ihn doch nicht sehen kannst?«, fragte Graine.
    Eine kurze Pause entstand, Zeit genug für sie, um zu erkennen, wie unhöflich ihre Bemerkung gewesen war. Aber das schien Bellos nichts auszumachen. Stattdessen dachte er offenbar darüber nach, wie er ihre Frage am besten beantworten könne. Nach einer Weile entgegnete er: »Weil sein Geist noch immer in der Nähe ist.«
    Darauf hätte sie auch selbst kommen können. Denn noch immer schwebte eine Unzahl an Geistern über dem Schlachtfeld, das konnte sie spüren. Die Anwesenheit der Seelen der Verstorbenen benebelte ihr nur noch zusätzlich den Verstand. »Ich glaube«, entgegnete sie, »ich weiß jetzt so ungefähr, wie es sich wohl anfühlen muss, blind zu sein im Land der Sehenden.«
    Bellos war nachsichtig, umgänglich und tolerant. Für ihn war der Tag wesentlich besser verlaufen, als er es sich erhofft hatte. Graine hatte beobachtet, wie er auf dem Brückenkopf entlanggewandert war und den Träumern seine Anweisungen gegeben hatte, ganz so, als könnte er ebenso deutlich sehen wie sie. Nur ein einziges Mal war er ins

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