Die Kriegerin der Kelten
gedacht, erklommen zu werden. Um zu verhindern, dass dennoch jemand versuchte, darüberzuklettern, waren der Flintstein und die Kopfsteine, die den Mauerkörper bildeten, so tief in den Mörtel eingebettet, dass sie keinerlei Halt für die Hände boten, und darüber hinaus besaß die Mauerkrone eine abgerundete Kante und war auf ihrer gesamten Länge mit spitzen, scharfkantigen Feuersteinen besetzt. Folglich hatten Cunomars Krieger sich Zutritt durch das äußere Tor verschafft. Neun kräftige Schläge mit einer Axt hatten genügt, um das Schloss an der Pforte zu sprengen und die Bärinnenkrieger einzulassen. Diese hatten sich auf dem Grundstück verteilt und harrten nun zwischen den in diesem Klima nur schlecht gedeihenden Olivenbäumen, den Weinstöcken und den beiden Springbrunnen aus grünem Marmor, auf denen Jünglinge auf Delfinen über ein endloses, längst versiegtes Meer ritten, der Dinge, die da kommen sollten.
Cunomar lag im Schatten des zweiten dieser Zierbrunnen. Rechts und links von ihm ließen die Krieger Trinkschläuche herumgehen, die sie mit frischem Wasser aus dem Brunnen in dem zerstörten Hospital gefüllt hatten. Sie alle hatten Brandverletzungen erlitten oder waren auf irgendeine andere Weise verwundet worden. Cunomar hatte noch immer Schmerzen in der Leistengegend von dem fehlgeschlagenen Schwerthieb, der ihn um ein Haar seiner Männlichkeit beraubt hätte. Ulla, die ihm am nächsten lag, hatte eine Brandwunde, die sich über ihren gesamten Unterarm zog, war aber ansonsten unversehrt geblieben.
Sie reichte ihm einen Wasserschlauch. Durstig trank Cunomar einige Schlucke und gab den Schlauch dann wieder zurück. Die Hintertür zum Tempel blieb nach wie vor geschlossen. So hoch wie ein ausgewachsener Mann und fünfmal so breit, bestand sie aus massivem, abgelagertem Eichenholz und hatte Angeln aus Leder, die dicht an dicht mit Eisennieten besetzt waren, damit man sie nicht so leicht durchschneiden konnte. Die Tür war dafür gedacht, als Fluchtweg zu dienen, oder auch als geheimer Eingang - als ob nicht halb Camulodunum schon von dem Tag an, als sie damals eingebaut worden war, von ihrer Existenz gewusst hätte.
Langsam stieg die Sonne höher, und die Stellen, wo noch Schatten herrschte, wurden zunehmend kleiner. Als die umherschwirrenden Fliegen gar zu lästig wurden, begannen diejenigen Krieger, die noch nicht zum Kampfverband der Bärin gehörten und daher noch keine so strikte Selbstdisziplin kannten, Wetten darüber abzuschließen, wer von ihnen wohl als Erster einen der schweren grünen Marmorspringbrunnen umreißen könnte.
Nach einer Weile vergaßen sie, sich nur im Flüsterton miteinander zu verständigen, und mit der Wetterei wurde es richtig ernst. Drei der Krieger pflanzten sich breitbeinig vor dem Brunnen auf und spuckten sich in die Hände. Alle drei hatten sich das Haupthaar in einem Bogen über beiden Ohren abrasiert und den in der Mitte stehen gebliebenen Schopf mit weißer Kalkfarbe versteift. Einer von ihnen hatte sich darüber hinaus auch noch freiwillig das eigene Ohr abgeschnitten oder aber von jemandem abschneiden lassen.
Auf jeden Fall kannte Cunomar keinen der jungen Krieger beim Namen. Der größte von ihnen machte sich nun an den Versuch, den Springbrunnen umzustoßen, und zog und zerrte mit einer derartigen Kraftanstrengung an dem Marmor, dass die Adern an seinem Hals anschwollen und die Muskeln so stark unter der Haut hervortraten wie bei einem Ochsen, der einen schweren Pflug ziehen muss. Andere feuerten den Krieger an. Dennoch rührte der massive Brunnen sich keinen Millimeter von der Stelle.
Im Schutze des allgemeinen Lärms sagte Ulla zu Cunomar: »Deine Mutter hat sich ziemlich früh aus der Schlacht um den Tempel zurückgezogen. Ich habe zufällig mitbekommen, wie sie eine Frau laufen ließ, obgleich sie sie durchaus hätte töten können.«
»Das haben alle mitbekommen«, erwiderte Cunomar.
»Hat sie das bewusst so gemacht, damit wir anderen es sehen konnten? Damit kein Zweifel mehr daran bestehen würde, dass sie uns nicht länger anführen will?«
Genau das war auch Cunomars Befürchtung gewesen, als er mitten in der Schlacht hatte beobachten müssen, wie seine Mutter sich von dem Kampfgeschehen zurückzog. In die Scham, die ihn angesichts ihres aus seiner Sicht so schmachvollen Rückzugs erfüllte, hatte sich gleich darauf die panische Angst gemischt, dass das Kriegsheer ohne seine Mutter in seiner Kampfkraft geschwächt werden oder gar völlig zum
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