Die Kriegerin der Kelten
sichtbar, wo zuvor noch keiner gewesen war, und neun Trittsteine führten über dieses Wasser. Haselnussbäume mit je neun Ästen beugten sich hinab zu dem rauschenden Strom. Und auf jedem der Äste saß eine Krähe. Am Ufer stand in all seiner Pracht ein Hirsch. Er hob den Kopf, stieß einen weithin schallenden Ruf aus. Da drehte Dubornos sich um und begann zu rennen.
Breaca hatte schon so viele Männer und Frauen auf den Schlachtfeldern sterben sehen, hatte beobachten müssen, wie diese nach ihrem Tod haltlos und verloren umherirrten. Noch niemals zuvor aber hatte sie beobachten dürfen, wie ein Mensch so leicht und ohne jede fremde Hilfe den Weg zu dem Ufer des Flusses fand und darüber hinwegeilte.
Noch lange, nachdem Dubornos gegangen war, stand sie da und blickte ihm hinterher.
»Mutter?«
Zuerst dachte Breaca, es müsse Graine sein. Dann aber erkannte sie, dass es Hawk war, der sie zum ersten Mal so ansprach. Dicht neben ihm stand dann auch Graine, und auf seiner anderen Seite wartete Cygfa. In Breacas Herzen, wo bis vor kurzem nur drei Kinder geatmet hatten, lebten nun also vier. Ein weiterer Sohn war ihrem Geschlecht, ihrer Familie hinzugefügt worden, ein weiterer Familienangehöriger, der darum kämpfen würde, das Land zu retten. Diese Vorstellung fiel Breaca wesentlich leichter, als abermals über Venutios’ Frage nachzudenken.
»Würdest du gern etwas essen?«
Der Duft von gebratenem Hirschfleisch schwebte sanft über dem Geruch des Mooses, der Sumpfmyrte und des Blutes, das aus Dubornos’ Kopfwunde sickerte. Noch immer hockte Breaca neben ihm, wie versteinert in ihrer Haltung. Ihre Hände lagen auf seinem Körper. Breaca hatte gedacht, dass sie stände. Doch erst jetzt erhob sie sich wieder mit knackenden Kniegelenken, die sich nur mühsam strecken ließen.
Mit dem Gesicht nach unten lag Dubornos da, genauso, wie Breaca ihn in den Morast gebettet hatte. Das Fuchsfell an seinem Arm hatte sich mittlerweile mit Wasser vollgesogen und war nun ganz schwarz, von der gleichen Farbe wie auch Dubornos’ Haar. Seit seiner Kindheit hatte er stets nur sehr feines Haar gehabt, nun schien es mit einem Mal deutlich voller, während es sich auf dem Wasser schwebend um seinen Kopf herum ausbreitete und mit dem Moos verwob.
»Mutter?« Diesmal ertönte die Frage aus Graines Mund.
»Nein. Das heißt, ja, ich würde gerne etwas essen. Danke.«
Sie brachten Breaca von dem Fleisch, und mit dem Essen fand sie langsam auch wieder zurück in den Tag. Die Sonne stand nun schon wesentlich höher als beim letzten Mal, als Breaca zum Himmel hinaufgesehen hatte, während die Sichel des Mondes nur noch geisterhaft blass erschien und sich bereits zum westlichen Horizont hinabneigte. Breaca saß auf einem kleinen Felsblock, ließ die Sonne ihre Haut wärmen und versuchte, sich von dem Bild zu lösen, wie Dubornos über den letzten Trittstein scheinbar mitten ins Nichts hinein entschwunden war.
Ein junger Mann mit wunderschönem blondem Haar und Augen, die geradewegs an ihr vorbeischauten, setzte sich neben sie. Breaca erinnerte sich, ihn während des Tanzes schon einmal gesehen zu haben, erinnerte sich aber nicht mehr daran, welche Rolle er bei diesem Ritual gehabt hatte. »Ich bin Bellos«, ergriff er als Erster das Wort. »Und kam ursprünglich aus dem Land der Belger. Dein Bruder, Valerius, der früher einmal Bán war, führte mich von Gallien hierher und lehrte mich, was es braucht, um einer der Träumer von Mona zu werden. Ich war es, der deine Tochter auf die Insel gerufen hatte, und nun gebe ich sie wieder zurück in deine Obhut. Der Vorsitzende unseres Ältestenrats, Luain mac Calma, glaubt, dass Graine der wilde Springstein ist in jenem Spiel namens Kriegertanz. Er schickt sie dir mit dem Wunsch, dass ihr in eurem Zusammenleben schließlich beide wieder Heilung finden möget.« Sein Blick wurde schärfer, geradezu beunruhigend durchdringend. »Letzte Nacht dachte ich, du wärest wieder geheilt.«
»Und jetzt?«
»Jetzt... Du hast die Zeit des Heilens längst hinter dir gelassen. Kannst du den Weg erkennen, den du nun beschreiten musst?«
Mit einem Mal erinnerte Breaca sich wieder an eine ganze Reihe von Dingen, die Valerius ihr einmal über diesen jungen Mann berichtet hatte, und sah nun auch jene Eigenschaften in Bellos, von denen ihr Bruder noch nichts erzählt hatte. »Ich sehe den Weg nur verschwommen«, antwortete sie. »Wirklich klar habe ich ihn ohnehin noch nie gesehen. Ich weiß nur, dass wir
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