Die Kriegerin der Kelten
der zweiten Truppe. Er, sowie die beiden Unteroffiziere, die ebenfalls neben Ursus standen, hatten den Befehl ihres Präfekten also klar und deutlich gehört, und alle drei wussten sehr genau, wie sie ihre Männer schnellstmöglich zum Kampf formierten.
Es folgte ein knappes Nicken von Ursus, und schon erteilte ein jeder dieser Männer den ihm unterstellten Rekruten einige präzise Befehle. Kurz darauf hallte das Getrampel schier unzähliger, mit Stiefeln bewehrter Füße durch den Morgen. Der ungeordnete Haufen von auf Hochglanz poliertem Eisen und bronzenen Helmen, als die die Kohorte sich vor wenigen Augenblicken noch präsentiert hatte, formierte sich plötzlich zu einer perfekt ausgerichteten Linie, und es gab nicht einen einzigen unter den Rekruten, der sich nicht an dem ihm zugewiesenen Platz befunden hätte.
Mit einem Mal hörte auch der stete Nieselregen auf, sodass man fast schon glauben mochte, die Götter begrüßten das Vorgehen der Römer. Zumindest die unerfahrenen jungen Burschen vor der Brücke waren davon überzeugt, dieses Zeichen richtig zu deuten. Verstohlen streute der eine oder andere in den Reihen der stumm ausharrenden jungen Soldaten eine Handvoll Maismehl auf den Boden als kleine Opfergabe an Jupiter, Mars, Mithras und die etwas weniger bedeutsamen Götter von Heim und Herd. Feierliche Eide wurden gemurmelt, schwebten leicht wie Rauch über den Köpfen der Rekruten.
Die Gefahr, die der Hinterhalt soeben noch für sie bedeutet hatte, verringerte sich spürbar. Die drei Offiziere berieten sich, und schon bald wurde ein dunkelhäutiger, etwa siebzehnjähriger Junge ausgewählt, dessen lockiger Schopf auf hispanische Ahnen hindeutete und dessen Sehnen an den Unterarmen so deutlich hervortraten wie die Seile an einem Flaschenzug. Rasch band man ihm ein festes Tau um die Taille und zog ihn dann einmal unter der gesamten Brücke entlang und wieder zurück. Als der junge Mann schließlich vor Corvus und Ursus Haltung annahm und Bericht erstattete, war sein Gesicht bleich vor Angst, was jedoch nicht etwa von der Höhe der Brücke oder der Gegenwart der Offiziere herrührte.
»Irgendjemand hat die Verbindungsseile angeschnitten. Das Leder, das die Bohlen zusammenhält, ist fast komplett durchgerissen. Die, die da vorhin noch über die Brücke marschiert sind, haben riesiges Glück gehabt. Aber wenn der Maulesel da drüber gelaufen wäre, wäre er zu Tode gestürzt und hätte alle, die mit ihm auf der Brücke gewesen wären, mit sich in die Tiefe gerissen.«
Corvus hatte das Problem auf Anhieb erkannt. Und auch Ursus hätte die Gefahr erkennen müssen. Glücklicherweise aber hatte dieser dann zumindest nach den ersten Worten des Präfekten rasch begriffen, was Sache war, und hatte sich bereits überlegt, was als Nächstes zu tun sei. »Ich habe einige Pioniere dabei«, erklärte er. »Am besten, wir vergessen diese Brücke und bauen einfach eine neue. Das dauert weniger als einen halben Tag.«
»Ich weiß. Vielen Dank. Nur schade, dass wir keinen halben Tag mehr erübrigen können. Der Gouverneur braucht uns unverzüglich. Wir müssen ihm zu Hilfe eilen, ihn in seinem Vorstoß gegen Mona unterstützen. Unser Zeitplan erlaubt es uns also nicht, uns erst einmal der Reparatur irgendwelcher vom Feind sabotierter Brücken zu widmen.«
Corvus war ein sehr kompakt gebauter Mann, schlank, mit glatter Haut und ohne jegliches überflüssiges Fleisch auf den Rippen oder gar Hängebacken. Allein einige feine Strähnen weißen Haares an seinen Schläfen und entlang des Scheitels zeigten an, dass auch er seit den ersten Jahren der Okkupation gealtert war. Und überhaupt hatte er so eine gewisse Andersartigkeit an sich, sodass er selbst jetzt, schlammbeschmiert und mit den unvermeidlichen Schmutzrändern von dem langen Marsch an seiner Kleidung, mit seinem vom Regen durchnässten Offiziersumhang, der sich schlaff um die schimmernde Rüstung schmiegte, und mit den polierten Beinschienen, die so hell glänzten, dass sie fast schon die Sonne selbst blendeten, nicht ganz und gar römisch aussah. Seine Nase mutete eher griechisch an, vielleicht sogar alexandrinisch, und auch seine Augen waren größer als die der meisten Römer, sodass man zuweilen den Eindruck bekam, dieser Blick könne die ganze Welt umfassen. Fast zwei Jahrzehnte lang hatte Ursus Tag für Tag gespürt, wie er regelrecht in diesen Augen versank, und hatte sich doch stets aufs Neue immer wieder aus ihrem magischen Bann befreien müssen.
Ursus
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