Die Kristallhexe
blieb stehen, als sie den Marktplatz erreichten. Die Gassen waren leer, die Stände geschlossen. Ketten und Vorhängeschlösser sicherten die Eingänge.
»Ich hatte dir einen Fleischspieß ausgeben wollen«, sagte Jack, während er sich umdrehte und vergeblich nach anderen Passanten suchte, »aber das muss ich wohl verschieben. Es ist alles zu. So, wie es noch nie verschlossen gewesen war. In diesem Lager hatte einst Freiheit geherrscht, das habt ihr mich gelehrt. Doch das ist vorbei.«
»So sieht es aus.« Deochar ging zu einigen Marktkarren, die wie eine Wagenburg zusammengestellt worden waren. In ihrem Schatten hockte er sich hin und bedeutete Jack, das Gleiche zu tun. »Es gibt eine Taverne«, fuhr er leiser fort, »in der die Dorfbewohner abends Zusammenkommen dürfen und die wir bewachen, damit alles friedlich bleibt. Der Marktplatz ist nach Einbruch der Dunkelheit geschlossen.«
Jack hockte sich neben ihn. »Warum?«
»Wir haben viele hier aufgenommen. Manche sind arm, manche unehrlich. Es gibt viele Gründe, jemanden zu bestehlen oder andere Dinge zu tun, die wir nicht wollen. Wenn die Dorfbewohner abends in ihren Hütten bleiben, ist das für alle sicherer.«
»Okay, aber was machen wir dann hier?«
»Warten, bis jemand kommt, der anderer Ansicht ist.«
Schweigend warteten sie. Ab und zu warf Jack einen Blick in den dunklen Nachthimmel. Er vermisste die Sterne und das gelbe Licht des Mondes. In Innistìr war jede Nacht gleich.
Deochar berührte ihn am Arm. In seiner anderen Hand lag plötzlich sein Dolch. Er hatte ihn so leise aus der Scheide gezogen, dass Jack, obwohl er unmittelbar neben ihm hockte, nichts gehört hatte. Einige Atemzüge später sah er den Mann. Er war klein und zerlumpt, blieb in den Schatten wie jemand, der wusste, dass er etwas Verbotenes tat. Als er die Wagenburg erreichte, sprang Deochar auf. Der Mann sah ihn, aber bevor er reagieren konnte, berührte bereits die Spitze des Dolches seine Kehle.
»Ich habe nichts, was sich zu stehlen lohnt«, stieß er hervor. Er war ein Mensch, nicht mehr ganz jung, mager und schmutzig.
Deochar ging nicht darauf ein. »Wo ist Erolys Laden?«
Der Mann presste die Lippen zusammen. Sein Blick verhärtete sich, ein trotziger Ausdruck trat in sein Gesicht. Jack hatte schon Hunderte solcher Männer gesehen. Er fühlte sich auf einmal sicher, betrat vertrautes Terrain.
Er stand auf und schlug dem Mann mit der flachen Hand ins Gesicht. Es knallte so laut, dass er glaubte, das ganze Dorf müsse aufwachen.
»Der Mann hat dich was gefragt.« Er legte all die Brutalität, zu der er fähig war, in seine Stimme. »Antworte ihm!«
Der Blick des Menschen glitt über sein Gesicht, als versuche er abzuschätzen, wie ernst er Jack nehmen müsse. Der hob erneut die Hand. Der Widerstand des Mannes brach in sich zusammen.
»Rechts neben dem Schreiner«, stieß er hervor.
Deochar hob eine Augenbraue, Jack die Schultern. »Du hältst einem Mann ein Messer an den Hals, und er glaubt nicht, dass du zustechen wirst. Schlag ihm ins Gesicht, und er weiß, dass du es ernst meinst.« Er hatte das oft genug erlebt.
»Ich werde diese Lektion nicht vergessen«, sagte Deochar. Jack glaubte, dass er es so meinte.
Sie ließen den Mann laufen, er würde ihnen keinen Ärger machen. Dann gingen sie auf die Schreinerwerkstatt zu.
»Wer ist Eroly?«, fragte Jack.
»Die heimliche Herrscherin von Cuan Bé. Nichts, was hier geschieht, bleibt ihr verborgen.«
Die Schreinerwerkstatt lag im Dunkeln und war ebenso verschlossen wie alle anderen Werkstätten und Geschäfte. Rechts daneben lag ein Haufen Holzreste, der anscheinend so wertlos war, dass es sich nicht lohnte, ihn zu sichern.
»Sieht nicht wie ein Laden aus«, sagte Jack.
Deochar lächelte nur, machte einen Schritt auf die Holzreste zu und blieb in ihnen stehen. Das Bild flackerte vor Jacks Augen wie ein kaputter Film. Er brauchte einen Moment, bis er verstand, was er sah.
»Ist das ein Täuschungszauber?«, fragte er. Vorsichtig versuchte er, die Holzscheite zu berühren, aber seine Hand traf auf keinen Widerstand.
»Einer von vielen.« Deochar ging in die Hocke und strich mit beiden Händen durch den Dreck. Dann erhellte sich seine Miene. »Da ist es.«
Er legte einen schweren Eisenring frei und zog mit beiden Händen daran. Langsam klappte eine Falltür auf. Jack trat neben ihn. Der Täuschungszauber wollte sich immer noch über seinen Blick schieben, aber solange er sich konzentrierte, irritierte ihn das kaum
Weitere Kostenlose Bücher