Die Kristallsaengerin
Glück haben, einen Kristall aufblitzen zu sehen — wenn sie genau im richtigen Moment in der richtigen Richtung stand. Auf Keborgens Schnittplatz konnte sich nach dem kurzen Sturm noch nicht viel Erde angesammelt haben.
Die Sonne stand mehr westlich als östlich; ihre Chancen waren günstiger, wenn sie nach Westen sah. Sie kletterte die Tal-seite auf den Kamm hinauf, drehte sich nach rechts und blieb stehen. Jetzt, im Sonnenschein, konnte sie etwas erkennen, was der Regen am Tag zuvor verborgen hatte, ein deutlich sichtbarer, wenn auch unebener und gewundener Pfad aus festgetretener Erde, der ein Paar behenden Füßen Halt bot. Er war von einem langbeinigen Mann benutzt worden, und an einigen Stellen muß-
te sie hüpfen oder springen, als sie ihm eifrig folgte. Sie war so darauf konzentriert, aufzupassen, wohin sie trat, daß sie ins Leere getreten wäre, wenn sie nicht vorher die plattgestampfte Stelle etwa zwei Meter vor dem Abgrund bemerkt hätte. Ein geeigneter Platz, um zum Beispiel Kristallkartons abzustellen. Es hätte die Aufregung sein können, als Killashandra das Prickeln in ihren Beinen fühlte, aber dann hörte sie das leise Seufzen, lauter aber, als daß es von der leichten Brise hätte kommen können. Es war, als ob in einiger Entfernung jemand leise summte, und der Klang mit der Brise an ihr Ohr trieb. Nur kam dieses Geräusch von vorn.
Bebend trat sie noch zwei Schritte vor und blickte dann hinunter in eine V-förmige Senke, die zum Talboden abfiel, der etwa zehn Meter unter dem niedrigsten Arm das Vs lag. Schlammi-ges Wasser strömte aus dem V-Punkt. Wasser hatte sich in einer zu deutlich geometrischen Pfütze auf halbem Weg die unebene Seite hinunter gesammelt. Uneben deshalb, weil Keborgen Fuß-
stützen angebracht hatte, die ihm den Zugang zu seinem Claim erleichtern sollten. Während sie hinunterstieg, konnte sie die schwarzen Kristalle um sich herum fühlen. Als sie den Boden erreicht hatte, kniete sie sich neben die symmetrische Pfütze, die eine Fingerspitze tief war, und betastete ihre Seiten. Ihre Finger vibrierten.
Sie erhob sich und blickte sich um. Das V, etwa sechs Meter lang und sorgfältig beschnitten, daß es sein rauhes, natürliches Aussehen nicht verlor, öffnete sich auf der Schluchtseite zu einer Breite von vier Metern. Ehrfürchtig nahm sie ein Tuch und wischte Schlamm weg. Darunter kam der matte Glanz von kal-tem schwarzen Kristall zum Vorschein. Dann rieb sie mit dem Tuch das Wasser weg. Keborgens Dreiersatz war passend geschnitten worden, aber zueinander, nicht zum Winkel der Ader, wobei dieser kleine Keil entstanden war, in dem sich das Wasser gesammelt hatte. Nein, dieses kleine Stück hier war mehr als wahrscheinlich fehlerhaft, vom Sturm beschädigt. Sie fuhr mit den Fingern darüber und fühlte die Rauhheit der fehlerhaften Stelle. Dann machte sie sich aufgeregt daran, die Ader sauberzu-wischen, um herauszufinden, wo der Fehler aufhörte und wo der makellose Kristall begann. Ah, hier, an der Stelle, genau da, wo Keborgen aufgehört hatte zu schneiden, als der Sturm anfing.
Wie groß, wie tief, wie breit mochte diese Kristallader sein?
Dieser verborgene Schatz? Killashandras freudige Erregung war stärker als ihre anfängliche Vorsicht; lachend schrubbte sie zuerst diese Stelle in der gegenüberliegenden Wand, dann über die schiefen Arme des Vs und kicherte leise vor sich hin, während sie den Kristall von der Sand-und Schmutzschicht befreite. Ihr Kichern hallte zurück, und sie begann zu lachen, während das lautere Geräusch zurückgeworfen wurde.
Sie war von Kristall umgeben. Er sang zu ihr! Sie glitt auf den Boden, ohne auf den Schlamm zu achten und streichelte über die Kristallflächen zu ihren Seiten, wobei sie sich bemühte, nicht zu kichern, sich bemühte, zu begreifen, mit ihrem benommenen Gehirn zu verstehen, daß sie, Killashandra Ree, tatsächlich Keborgens Schwarzkristallader gefunden hatte. Und sie war ihr, nach Abschnitt und Paragraphen.
Killashandra merkte nicht, wie die Zeit verging. Sie mußte Stunden verbracht haben, das Claim zu untersuchen, sich anzusehen, wo Keborgen fehlerhafte Kristalle von der Außenfläche geschnitten hatte. Zweifellos war er überzeugt gewesen, nach dem Sturm wieder hierher zurückzukommen. Er hatte an einer Platte einen Meter über dem höheren Arm des Vs geschnitten. Keborgen war ein kluger Schneider gewesen, denn er hatte nicht wild Kristalle geschnitten, sondern sich auf fehlerlose Schnitte beschränkt, auf
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