Die Kristallsaengerin
Schneider ein und bereitete sich auf die Reaktion des Kristalls vor. Sie war fast verblüfft über den klaren Ton, der ohne Protest zurückkam. Ungeheuer erleichtert machte sie zwei vertikale Schnitte, wobei sie darauf achtete, das Messer gerade zu halten. Dann nahm sie den dritten, horizontalen Schnitt vor und verfluchte sich, weil sie unbewußt dem Muster ihres ersten, ungleichmäßi-, gen Schnitts gefolgt war. Ein greifbares Gefühl strömte aus dem geschnittenen Block, aber jetzt kannte sie die Tricks des Kristalls und .verpackte das Rechteck rasch neben den ersten in den Karton.
Der dritte Kristall hätte eigentlich der leichteste Schnitt werden müssen. Den ersten Schnitt machte sie rasch und geschickt, erfreut über seine fachmännische Ausführung. Doch der vertikale Schnitt, mit dem das Rechteck von der Fläche getrennt werden sollte, kam vom richtigen Ton ab. Sie brach ab, spähte in die gräuliche, blaßbraune Substanz und fühlte, als sie sie berührte, nicht ertastbar, sondern über die Nerven in ihren Fingerspitzen, daß sie in einer fehlerhaften Stelle schnitt. Wenn sie einen halben Zentimeter weiter daneben schnitt ... Der Block paßte jetzt zwar nicht zu den beiden anderen, aber der Kristall sang rein.
Sie drehte ihn in den Händen herum, den Rücken mit Bedacht der Sonne zugewandt und untersuchte den Block nach weiteren Spuren eines Fehlers. Das hier, sagte sie sich streng, war eine Entschuldigung, ihn mit Fingern zu streicheln, die sich an dem glatten Material entzückten, dem flüsternden Ton, den Empfin-dungen, die so zart ihre Nerven berührten wie ... wie Lanzeckis Kuß auf ihre Handfläche?
Killashandra kicherte, und ihr Lachen schallte von allen Seiten zurück. Lanzecki, oder die Erinnerungen an ihn, schien ein Anker für sie in dieser exotischen Arena des Klangs und Gefühls zu sein. Ob er sich dieser Rolle bewußt war? Und wenn, oder falls, sie in Lanzeckis Arme zurückkehrte, würde sie sich in ihnen an den Kristall erinnern?
Die Gedanken an ihn verdrängten das Locken des dritten Rechtecks, das sie verpackte. Erst jetzt wurde sie sich einer ge-wissen Kühle, einer leichten Brise bewußt, wo vorher die Luft warm und ruhig gewesen war. Als sie nach Westen sah, muß-
te sie erkennne, daß der Kristall sie wieder einmal hereingelegt hatte. Der Tag war fast vorbei, und sie konnte nur drei schwarze Kristalle vorzeigen für sechzehn Stunden Arbeit - oder geistiger Ablenkung. Eine ganze Ader wartete darauf, geschnitten zu werden.
Offensichtlich gehörte zum Kristallsingen vieles, das nicht er-klärt oder in der Theorie dargelegt werden konnte. Man mußte es am eigenen Leib erleben. Moksoon hatte ihr nicht genug Tips oder Einblicke gegeben oder Tricks bei seiner Arbeit gezeigt. Allerdings hatte sie eine ganze Menge durch Keborgens Schnitte gelernt. Ihre Intuition sagte ihr, daß sie nie alles lernen würde, was es über das Kristallschneiden zu wissen gab. Ein Aspekt, der das Leben als Kristallsänger noch interessanter machte. Wenn sie nur irgend etwas dagegen unternehmen konnte, daß sie Stunden mit der Bewunderung ihrer Arbeit verlor!
Die drei Kristalle lagen ruhig in ihrem Karton, aber ihre Hän-de verharrten auf ihm, als sie den Schaumstoff überzog. Sie stellte sich ein reichhaltiges warmes Essen zusammen und wählte einen Becher Yarra-Bier dazu, nahm alles mit nach draußen und schlenderte zur Senke hinüber, wo Sie es sich auf einem Fels-block bequem machte. Sie sah, wie die Sonne über ihrem Claim unterging und die Monde am Himmel aufstiegen. Der abkühlende Kristall schrie über das blinde Tal, das sie trennte.
»Du hast deinen Willen gehabt ...«, und Killashandra brach ihre spöttische Bemerkung ab, als ihr erstes Wort von der neu freigelegten Kristallfläche zurückgeworfen wurde. »Du - hu -«
Der Vokal kam im Einklang zu ihr zurück. Amüsiert über das Phänomen stimmte sie ein zweites »du - hu« eine Terz tiefer an und hörte, wie es mit dem schwachen Nachhall des ersten zu-sammenklang. Sie mußte lachen über ihr Spielchen. Der Kristall lachte zurück. Und der erste Regen der nächtlichen Brise, als der große Shankill-Mond aufstieg, trug Gegenharmonien zu ihrem Solo heran.
Sie sang. Sie sang zum Kristall; der Wind lernte den Ton, obwohl der Kristallchor langsam verklang, als die letzte Wärme der Sonne aus ihm wich und nur der Wind ihre lyrischen Verse wiederholte.
Shilmore stieg auf, und die Nachtluft brachte eine Kälte mit, die sie aus einer solchen Trance riß,
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