Die Krone von Lytar
balanciert darüber, als führten sie über einen tiefen Abgrund.«
»Vielleicht ist es ja auch so«, sagte Knorre, der neben ihr auf einem Stein am Rand der Lichtung saß und ebenfalls dem Treiben zusah. Er kaute auf einem Grashalm und schien damit zufrieden, den anderen bei ihrer Arbeit zuzusehen, während er selbst in der Sonne saß. »Ein kluger junger Mann, dieser Garret.«
Elyra lachte. »Das habe ich auch einmal zu ihm gesagt. Aber er hat nur den Kopf geschüttelt. Er sei nicht klug, sondern faul. Er scheue nur die Anstrengung, die es nach sich ziehe, wenn man die Sachen nicht vorher bedenkt!«
»Dreimal gedreht, ergibt das sogar Sinn«, nickte Knorre. »Wisst Ihr bereits, ob Ihr Tarlon folgen wollt oder eher dem Ruf der Göttin?«
Elyra sah ihn scharf an. Jegliche Spur eines Lachens war aus ihrem Gesicht verschwunden.
»Ihr tragt das Symbol Mistrals, doch Euer Blick verzehrt sich nach Tarlon«, erklärte Knorre.
»Ist das so offensichtlich?«
»Nein, das ist es nicht, aber Ihr habt den Vögeln Eure Sorgen gebeichtet. Vögel sind sehr gesprächig und tratschen gerne.«
»Ihr könnt auch sie verstehen?«, fragte Elyra überrascht.
»Nein.« Knorre schüttelte den Kopf. »Aber der Wind und die Vögel sind gut befreundet.« Er lächelte. »Sie nutzen ihn beim Fliegen.«
»Das ist wahr.« Sie sah Knorre nachdenklich an. »Ich habe meine Entscheidung noch nicht getroffen. Ich weiß nicht, wie ich wählen soll.«
»Manchmal mag eine Wahl erforderlich sein, doch nicht in allen Fällen«, sagte Knorre. »Ihr werdet noch lange leben. Warum also nicht erst lieben und dann der Göttin dienen? Einer Priesterin steht es gut zu Gesicht, die Liebe zu kennen.«
»Ich befürchte, sie braucht mich hier und jetzt, nicht erst dann, wenn sie Tarlon zu sich gerufen hat«, meinte Elyra leise. Sie sah Knorre an. »Im Moment lerne ich mehr über den Hass als über die Liebe.« Sie schüttelte den Kopf. »Warum erzähle ich Euch das nur? Ich bin sonst nicht so mitteilsam.«
Knorres blaue Augen lachten sie freundlich an. »Vielleicht liegt es an ihr, der Ihr dienen wollt?«
»An Mistral? Wie könnte das sein?«
»Man sagt, mein Vorfahr sei von ihr berührt worden, als er ihr einen Tempel in der alten Stadt errichtete. In dem Moment sei er dem Wahnsinn verfallen.«
»Er baute ihr einen Tempel?«
Knorre nickte. »Und sie gab ihm die Fähigkeit, Magie zu finden, auch in Stein, Metall und anderen unbelebten Dingen. Nur der Wahnsinnige vermag ein solches Geschenk zu würdigen … allen anderen bleibt sein Wert verborgen.«
»Das ergibt Sinn«, nickte Elyra.
»Tut es das?«, fragte Knorre und sah sie nachdenklich an. »Allzu oft begegne ich Dingen, die keinen Sinn ergeben.«
»Vielleicht solltet Ihr Mistral dazu befragen«, lächelte Elyra. »Sie ist auch die Herrin des Schleiers, hinter dem sich nicht selten die Wahrheit verbirgt.«
»Dem ist wohl so«, stimmte er ihr versonnen zu.
»Sagt, warum hat Euer Vorfahr der Göttin Mistral einen Tempel erbaut? Die Göttin wohnt in jedem von uns und braucht keinen Tempel. Ein jeder Ort eignet sich. Im Dorf haben wir zwar einen Schrein, aber er steht dort, wo wir beten, wenn jemand von uns geht.«
»Die Göttin braucht keinen Tempel, weil sie, anders als die Menschen, keinen Ort braucht. Da habt Ihr recht. Sie erbat ihn sich, damit er einen Zweck erfüllt, der nicht erfüllt werden sollte.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Elyra.
»Das beruhigt mich«, lachte Knorre und stand auf. »Es sieht so aus, als wären sie am Tor angekommen. Wir sollten hinübergehen.«
»Sie ist nicht unter ihnen«, erklärte Hendriks. »Ich habe ihre Rüstung selbst anfertigen lassen und würde sie wieder erkennen.« Der Söldnerführer ballte die Fäuste, als er die Reihe seiner getöteten Leute musterte, die am Waldrand aufgebahrt war. Es hatte den größten Teil des Nachmittags gedauert, die Kameraden zu bergen. »Wie kann das nur sein?«, fragte er Tarik, der schweigend neben ihm stand.
Tarik nickte nur und ließ seinen Blick in Richtung des Turms schweifen. »Rabea konnte schon immer gut klettern, nicht wahr?«, sagte er dann.
Hendriks folgte dem Blick des Armbrustschützen. Aus der Ferne sahen die alten Mauern glatt aus, aber aus der Nähe hatte er zuvor erkennen können, dass die Witterung und der Zahn der Zeit die einst glatten Steine brüchig gemacht hatten und ein Teil des Gemäuers eingestürzt war.
»Ihr meint …?«, flüsterte Hendriks, und Tarik nickte.
»Wenn sie nicht
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