Die Krone von Lytar
gut zehn Schritte betrug, dann öffnete er seinen metallenen Schnabel und stieß einen Schrei aus, der weithin über das Land hallte und Garret erschaudern ließ. Er und der Falkner sahen gebannt und verängstigt zu dem riesigen Vogel hoch, der höher und höher stieg, den Kopf zur Seite gelegt, während seine unnatürlichen Augen, wie geschmolzenes Blei, die Landschaft nach Feinden absuchten.
Plötzlich legte er seine gewaltigen Schwingen eng an den Körper an und stürzte mit einem lauten Pfeifen auf Garret und den Falkner herab. Kleiner und kleiner werdend, breitete er elegant wieder seine Schwingen aus, bevor er auf dem Arm des Falkners landete, den dieser ihm, ohne nachzudenken, wie gewohnt entgegengestreckt hatte.
Ohne den schweren Handschuh, den er sonst benutzte, stöhnte der Falkner auf, und mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte er, dem Vogel die silberne Haube überzustreifen, während metallene Klauen sich tief in sein Fleisch bohrten, bis der Falke endlich wieder zur Statue erstarrte.
Erschüttert, blutend und bleich löste der Mann das Ding von seinem blutüberströmten Arm und gab ihn Garret zitternd zurück.
»Nimm ihn und pack ihn sofort weg, bitte!«, flüsterte der Mann, als Garret mechanisch nach der Figur ergriff. Tränen standen in den Augen des Falkners. »Ich war auf sonderbare Art und Weise mit dem Monster verbunden, als es flog. Ich fühlte seine wilde, kalte und mörderische Macht. Wäre jemand da gewesen, der nicht aus Lytar stammte, dieses Ding hätte ihn zerfleischt!« Der Falkner schluckte. »Ich danke der Herrin, dass der Radmacher und Elyra nicht hier draußen waren, sonst wären wir an ihrem Tod schuld.« Er riss einen breiten Streifen Stoff von seinem Hemd ab und verband sich damit den Arm.
»So schlimm ist es nicht. Ich kann meine Finger noch immer fühlen, aber du musst es jetzt unbedingt sofort zurückbringen!«
Garret machte sich zutiefst erschrocken auf den Weg, denn der Falkner hatte recht. Sowohl Ralik und Argor als auch Elyra stammten nicht aus Lytar, obwohl sie alle so wenig von dort wegzudenken waren wie Garret selbst. Er eilte in das Depot zurück, und als er den Vogel wieder auf dem Regal absetzte, zitterten seine Finger. Selbst als er den Drachen gesehen hatte, war die Bedrohung nicht in diesem Maße kalt und gefühllos gewesen. Der Drache war ein lebendes Wesen, vielleicht sogar intelligent, und wenn er den Geschichten der Sera Bardin glaubte, waren Drachen sogar imstande, etwas zu fühlen, selbst wenn es nur Hass war. Doch der Falke war völlig hart und gnadenlos.
Wie hatte die Hüterin es formuliert? »Nun muss jedes einzelne Ratsmitglied zustimmen, dass die Tür zum Depot tatsächlich geöffnet werden soll. Wir wachen darüber, dass es nicht anders ist. Denn die Kriegsmaschinen, die die Getreuen der Prinzessin damals nicht zerstören konnten, wurden hierher zur Verwahrung gebracht, und wenn die Vögel des Krieges einmal fliegen, wird man sie kaum zurückrufen können.«
Die Vögel des Krieges. Garret wusste nur zu genau, was sie meinte. Die Worte der Frau gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn, und er wurde von einer grauenvollen Vorstellung nach der anderen gepackt, denn in den Regalen der Kiste standen noch andere Tierfiguren. Bedrohlich aussehende Wölfe, Bären, sogar zwei Wiesel, von denen er nun wusste, dass sie im Moment nur schliefen, aber willig und begierig darauf warteten, sich wieder in den Kampf zu stürzen. Raubtiere aus Metall, beseelt von alter Magie und dem Wunsch, wieder zu töten. Die Ausnahme waren zehn Pferdefiguren, die irgendwie anders wirkten.
Immer noch neugierig, nahm er eines der Pferde und ging hinaus ins Freie. Der Falkner sah auf, als Garret herauskam. Er versorgte noch immer seine Wunde, wich aber zurück, als er die Statue in Garrets Hand sah.
»Diese ist anders«, sagte Garret rasch. »Ich fühle es.«
Der Falkner musterte die Pferdestatue misstrauisch, nickte aber dann, auch wenn er etwas zurückwich.
»Wir wollen hoffen, dass du recht hast«, sagte der Falkner vorsichtig. In dem Moment, wo Garret die Statue auf dem Boden aufsetzte, wuchs sie zu normaler Größe eines Pferdes heran. Vor ihnen stand ein Kriegspferd in vollem Plattenharnisch, ein wunderschöner Hengst, der selbst einem König zur Ehre gereicht hätte. Das schwarze Metall hatte sich in ein dunkles Braun verwandelt, und mit seiner weichen Nase stupste das Tier Garret an, als wüsste es von den Äpfeln, die Garret für sein eigenes Pferd dabeihatte.
Das
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