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Die Küsten der Vergangenheit

Die Küsten der Vergangenheit

Titel: Die Küsten der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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seine Kehle zu. Er schwebte in die Luft hinauf und trieb auf den warmen Strömungen. Sie vermischten sich mit seinem Blut, und er trieb an dem langen gebogenen Fenster vorbei, verströmte dicke Tränen des Vergnügens, während er nach dem offenen Durchgang suchte und ihn schließlich ausfüllte. Er ergoß sich nach draußen und raste auf einen Flecken Tageslicht zu, der sich in einer Leere vor ihm ausbreitete, die für alle Zeiten weiterzugehen schien.
    Cass blickte auf das Innere seiner Augenlider, spürte, wie die Welt sich drehte, spürte, wie Hände seinen Kopf hielten und anhoben. Sein Gesicht fühlte sich kalt und naß an.
    »Warten Sie«, sagte jemand. »Versuchen Sie nicht, sich zu bewegen.«
    »Keine Sorge, das wird schon wieder, Cass«, sagte eine zweite Stimme.
    »Hier herüber!« rief eine dritte Stimme.
    Cass öffnete die Augen. Die Stimme, die zu ihm gesprochen hatte, gehörte dem indianischen Wachposten. »Haben Sie Geduld«, sagte der Mann. »Hilfe ist bereits unterwegs.«
    »Danke«, erwiderte Deekin. »Mir fehlt nichts.«
    Doch die Dunkelheit kehrte zurück, kroch über ihn wie Nebel. Er hörte, wie Leute sich unterhielten. Und er hörte erneut das verblüffte Flüstern des Indianers. Der falsche Schalter.

 
24
     
     
    Cass Deekins Phantom mag vielleicht nicht so berühmt sein wie Hamlets geisterhafter Vater. Aber so sicher wie die Hölle hat er einer ganzen Menge mehr Leute eine Heidenangst eingejagt.
    Mike Tower, Chicago Tribune
     
     
    Cass Deekin wußte, daß seine Kollegen auf seinen Vortrag über Eden warteten, doch er war noch immer erschüttert. Er war nach Chicago zurückgeflogen, doch er hatte weder an Bord des Flugzeugs noch zu Hause Schlaf finden können. Er hatte die ganze Nacht hindurch überall im Haus das Licht brennen lassen. Und er hatte eine ganze Reihe schlechter Träume durchlebt.
    Am Morgen meldete er sich krank. Anschließend ging er zum Frühstück in Minny’s Café, weil er sich nach Gesellschaft sehnte, und dann in die öffentliche Bücherei von Lisle.
    Kurz nach elf Uhr tauchte er in der Collandar Grillbar auf. Cass trank nicht gerne, weil er davon zu leicht dick wurde. Doch heute war ein besonderer Anlaß.
    Er ließ sich ein Bier geben und war bald darauf in eine Unterhaltung mit einem Autoverkäufer der Chevrolet-Niederlassung auf der gegenüberliegenden Straßenseite verstrickt. Der Verkäufer war ein Mann mittleren Alters, von angenehmem Äußeren und nicht ganz imstande, seine Verkäufermentalität außen vor zu lassen. Doch das war ganz in Ordnung so; Cass machte es an jenem Tag nichts aus, wenn jemand auf ihn einredete.
    Der Verkäufer ließ sich über die gegenwärtige Unsicherheit der amerikanischen Industrie aus brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig das Vergnügen zu unterstreichen, das das Spazierenfahren auf Amerikas Nebenstraßen bereitete. »Ich will Ihnen etwas verraten«, sagte er grinsend. »Selbst wenn Sie diese Star-Trek- Sache tun könnten und hier in einen Transporterraum treten, um in Bismarck herauszukommen – es wird niemals einen Chevrolet Blazer ersetzen. Es ist mir ganz egal, was andere dazu sagen.«
    Nach einer Weile fiel Deekin auf, daß der Verkäufer ihn genau beobachtete. »Fehlt Ihnen was, Kumpel?« fragte er. Sein Name lautete Harvey, und sein Lächeln war einem besorgten Stirnrunzeln gewichen.
    »Nein, alles in Ordnung«, erwiderte Cass.
    »Sicher? Sie sehen ein wenig daneben aus.«
    Mehr brauchte es nicht. Cass erzählte seine Geschichte. Er beschrieb seinen Flug durch die Rundhauskuppel in allen Einzelheiten, sein Gefühl, von irgend etwas absorbiert worden zu sein, seine Überzeugung (jetzt, nachdem er eine Zeitlang über die Sache hatte nachdenken können), daß etwas in ihn eingedrungen war. »Was auch immer es gewesen sein mag«, flüsterte er mit weiten Augen, »es war unsichtbar.«
    Der Verkäufer nickte. »Nun«, sagte er und warf einen Blick auf seine Uhr, »ich muß jetzt wieder.«
    »Es war da«, fuhr Cass fort. »Gott ist mein Zeuge, es kam durch das Portal. Der Wachposten hat es bemerkt, aber er hat nichts gesagt.« Er stieß sein Glas um. »Hören Sie, ich weiß, wie das in Ihren Ohren klingt. Aber es ist die Wahrheit. Sie haben irgend etwas dort oben ausgelöst.«
    Zehn Minuten später versuchte ein Reporter, ihn zu interviewen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Cass jedoch bereits entschieden, nichts mehr zu sagen. Sein Entschluß kam selbstverständlich zu spät.
     
    - Sioux Falls, South Dakota, 27. März

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