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Die Küsten der Vergangenheit

Die Küsten der Vergangenheit

Titel: Die Küsten der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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(Reuters) -
    Die Polizei hat gestern den gesuchten Killer Carmine »The Creep« Malacci vor einem Motel in unserer Gegend festgenommen. Nach Malacci war in den gesamten Vereinigten Staaten gefahndet worden, seit er in Milwaukee einen Bundesrichter ermordet hatte. Der entscheidende Hinweis zu Malaccis Festnahme stammte von einigen Anwohnern, die sein Fahndungsfoto in der Fernsehserie Inside Edition gesehen hatten. Gerüchten zufolge soll Malacci auf dem Weg nach Johnson’s Ridge in North Dakota gewesen sein, wo er durch das Portal nach Eden zu entkommen gehofft hatte.
    Nach Auskunft der Behörden leistete Malacci bei seiner Festnahme keinerlei Widerstand. Er befand sich auf dem Rückweg von einem Tagesrestaurant, wo er gefrühstückt hatte …
     
    Curt Hollis ging an einem Flachwaggon voller Holz vorbei. Er war unterwegs in Richtung des Depots, gut zwei Meilen voraus, als der Wind zu ihm sprach.
    Er hatte mit J. J. Bender zusammengearbeitet, dem Zugdispatcher. Sie hatten Waggons für die Zollinspektion geöffnet. Sie waren eben mit dem Zug fertig geworden, 186 Waggons lang, und hatten sich auf den Rückweg gemacht. Bender und der Zollbeamte gingen ein Stück voraus, vielleicht vierzig Yards oder so, die Hände in den Taschen, Klemmbretter unter den Armen.
    Bender und der Inspektor hielten sich dicht beieinander, die Köpfe gegen den scharfen Wind aus Nordwesten gesenkt. Sie gingen auf der Ostseite des Zuges, im Windschatten der Waggons. Curt machte die Witterung nicht so viel aus wie den beiden anderen. Bender und der Inspektor hatten den größten Teil ihres Lebens in Innenräumen verbracht. Curt hatte im Gegensatz dazu immer draußen gearbeitet, Geleise verlegt und Brücken gebaut, hatte Sattelschlepper beladen und im Straßenbau gejobbt. Sein Gesicht war ledrig geworden, als er noch Anfang Dreißig gewesen war.
    Heute war er beinahe siebzig Jahre alt, und sein Körper versagte allmählich den Dienst. Schultern, Hüften und Knie schmerzten unablässig. Curt litt an Diabetes und an gelegentlichen Schmerzen in der Brust. Aber er hatte Angst, zu einem Arzt zu gehen. Er schlenderte behäbigen Schrittes durch den Schnee. Im Depot wartete weitere Arbeit auf ihn, deswegen trödelte er zufrieden vor sich hin, während die anderen es eilig hatten. Curt liebte die langen Wege zurück, nachdem ein Zug abgefertigt war. Es war später Nachmittag, und die Sonne sank rasch. Ein paar Diesel warteten auf dem Nachbargleis auf ihren Export. Zwischen den Wagen hindurch erhaschte Curt kurze Blicke auf die Route 75. Ein Pickup fuhr auf der Strecke nach Norden in Richtung Grenze.
    Curt war allein. Seine Kinder waren schon lange nach Kalifornien und Arizona gezogen. Jeannie, mit der er siebenunddreißig Jahre lang verheiratet gewesen war, war im letzten Frühjahr gestorben.
    Der Wind blies durch das Zwielicht, rüttelte an den Stämmen auf den Holzwaggons und überzog die Kastenwaggons mit feinem Schneestaub. Und er flüsterte seinen Namen.
    Curt.
    Curt blieb stehen und blickte in den grauen Himmel hinauf.
    Seine Begleiter stapften entschlossen weiter. Ein Blauhäher kauerte auf einem Tankwagen und beobachtete ihn.
    Curt.
    Diesmal deutlicher. Eine kalte Brise strich über sein Gesicht.
    Draußen auf der Route 75 donnerte ein Sattelschlepper in südlicher Richtung vorüber und schaltete hoch. Außer dem Zollbeamten und dem Zugdispatcher war kein Mensch in Sicht. Die Wagen standen breit und schwer und rostig im ersterbenden Licht des Tages.
    »Ist da jemand?« fragte Curt.
    Beim Geräusch von Curts Stimme flatterte der Blauhäher erschreckt auf und flog in Richtung Südosten davon. Curt blickte ihm hinterher, bis er verschwunden war.
    Curt.
    Kaum mehr als ein Flüstern, ein schwaches Seufzen. Verwirrt, fast ängstlich, blieb Curt stehen. Ein Stück voraus hatte der Zollbeamte ebenfalls angehalten und blickte zu Curt zurück.
    Niemand versteckte sich auf der anderen Seite des Zuges. Niemand in dem leeren Kastenwaggon neben Curt. Niemand irgendwo in der Nähe mit Ausnahme der beiden Menschen ein Stück voraus.
    Curts Herz hämmerte.
    Seine Sicht trübte sich, verschob sich, wurde wieder klar. Er blickte von oben auf den Kastenwaggon herab.
    Und auf sich selbst.
    Falls er Angst verspürt hatte, so wich dieses Gefühl nun von ihm, erlosch. Er spürte die Ruhe und den Gleichmut des Himmels. Ohne jegliche Emotion blickte er auf sich hinunter, sah sich auf dem Boden liegen.
    Und er spürte Jeannies Gegenwart. Jung und lachend und ohne Furcht, wie

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