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Die Küsten der Vergangenheit

Die Küsten der Vergangenheit

Titel: Die Küsten der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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sie vor den langen Wintern und den Geldsorgen gewesen war, die ihr so sehr zu schaffen gemacht hatten. Ihre Augen schimmerten hell, als sie sich an ihn lehnte.
    Dann veränderte sich das Licht, wurde dunkler, und Curt bemerkte Bender, der neben ihm kniete. Das alte Gefühl von Verlust kehrte zurück.
    »Curt? Was ist mit Ihnen?«
    Curt hatte keine Ahnung. »Ich glaube, ich werde krank«, antwortete er. Und dann: »Ich habe gehört, wie jemand meinen Namen rief.«
    »Was? Hören Sie, bleiben Sie einfach still liegen, ja? Ich werde im Depot anrufen. Sie sollen einen Wagen rausschicken.«
    »Hier ist irgend etwas«, brummte Curt und wehrte sich gegen Bender.
    »Er hat recht«, sagte der Inspektor mit weiten Augen. »Ich hab’s auch gehört.«
     
    Der Hirsch hatte zu bluten angefangen.
    Jack McGuigan steuerte sein Schneemobil an einer Hecke aus dichtem Gebüsch vorbei und untersuchte die Spur. Hellrote Tropfen glitzerten auf dem Schnee.
    Er hätte das Her bereits vor Stunden erlegt haben können, doch Jack hatte Freude am Fährtenlesen. Der Beute Zoll um Zoll näherkommen. Der Kreatur eine faire Chance geben. Doch die Beute rannte nicht mehr. Die Abdrücke waren nicht mehr sauber und scharf umrissen. Die Vorderkanten waren verwischt, und einige Markierungen verrieten Unsicherheit und gelegentliches Stolpern.
    Hin und wieder erhaschte er nun einen Blick auf das Her. Es wurde schwächer, näherte sich der Erschöpfung. Jack hielt an, nahm die Schneemaske vom Kopf und zog ein Sandwich aus dem Beutel. Laß dir Zeit. Es spielt keine Rolle mehr. Kein Grund zur Eile.
    Er goß sich Kaffee aus seiner Thermoskanne ein.
    Der Wald war heute voller Vögel. Jack liebte die Bewohner des Waldes. Er liebte den Geruch nach Grün und den Anblick des Himmels zwischen den Zweigen hindurch und den Wind, der in den Blättern raschelte. Und er liebte das saubere, ölige Klicken eines Gewehrverschlusses, der zurückgezogen wurde und einen daran erinnerte, wie allein man hier draußen war. Es war leicht, sich in den Wäldern zu verlieren. Den Beton zu vergessen und die Kinder.
    Zu Hause in Gottes Wäldern. So sollte ein Mann leben.
    Manchmal, gegen Ende einer Jagd, verspürte er beinahe so etwas wie ein Gefühl von Schuld. Die Spuren im Schnee sahen mitleiderregend aus. Er dachte wie schon so oft über die fast mystische Verbindung zwischen Jäger und Beute nach. Keine Wut. Keine Feindschaft. Der Bock hat resigniert. Er wartet auf den Fangschuß, während er verzweifelt auf die Beine zu kommen versucht, doch er weiß, wer sein Jäger ist, und auch er spürt das Band, die leidenschaftslose Verbindung, die bis vor die letzte Eiszeit zurückreicht.
    Jack redete sich nicht ein, das alles zu verstehen. Er akzeptierte es einfach, wie der Bock. Voller Mitgefühl trank er von seinem Kaffee. Als er fertig war, faltete er die Zellophantüte zusammen, in die sein Sandwich eingewickelte gewesen war, und schob sie sorgfältig in den Beutel zurück. (Von Zeit zu Zeit begegnete er Leuten, die ihren Abfall achtlos in die Wälder warfen. Nichts brachte Jack mehr in Wut als diese Typen. Letztes Jahr um diese Zeit war er auf einen Burschen gestoßen, der eine Spur aus Bierdosen hinter sich hergezogen hatte. Als Jack mit ihm fertig gewesen war, hatte der Bursche blutend neben seinem Lagerfeuer gelegen.)
    Zeit, die Sache zu beenden.
    Der Augenblick war gekommen. Jack würde den Bock erlösen, wie immer, mit einem einzigen Schuß.
    »Ich komme«, sprach er die rituellen Worte, die die letzte Phase einleiteten. Er stieg auf das Schneemobil, drehte den Zündschlüssel und spürte, wie die Kraft seinen Unterleib vibrieren ließ. Erschreckte Vögel flatterten auf.
    Er steuerte das Schneemobil auf die Spur zurück und folgte den Abdrücken. Hier hatte das Tier eine Pause eingelegt und war in das Unterholz gekrochen. Dort drüben war es einen steilen Abhang hinuntergestolpert. Jack mußte einen Umweg von fast einer Meile fahren, um den Fuß des Abhangs zu erreichen. Minuten später folgte er der Beute über einen gefrorenen Bachlauf hinweg.
    Es war ein Achtender. Als er endlich in Sichtweite kam, versuchte die Kreatur, sich in dichter, schneebedeckter Vegetation zu verstecken. Ihre Spuren verrieten sie dennoch. Jack nahm sein Gewehr aus der Halterung und schob eine Patrone ins Schloß. Sein Blick traf sich mit dem der Beute, ein letzter Augenblick gegenseitigen Erkennens, und der Bock machte einen schwachen Fluchtversuch. Jack hob die Waffe, visierte das Herz des Bocks an

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