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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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kritischste Zeit eingetreten war«. Wir brannten lichterloh. Ein Haufen Freunde versammelte sich bei uns und beratschlagte: Hu Yaobang stammte auch aus Liuyang, wir mussten für unseren großen Landsmann natürlich eine Trauerfeier veranstalten.
    Also bin ich in den Laden gelaufen und habe Papier, Pinsel und Reibestein für die Tusche gekauft, ich habe selbst das Heft in die Hand genommen und in einem Rutsch einen ganzen Haufen Parolen hingeschrieben, so was wie »Trauer um Yaobang, Änderung der Verfassung, für Demokratie, Freiheit, gegen Korruption, gegen Profiteure in der Bürokratie«. Fast hätte ich sämtliche politischen Forderungen unseres Lebens hingeschrieben.
    Am nächsten Tag um Mitternacht herum haben wir wie die Teufelskerle vom Liangshan-Moor, die früh aufstehen zu ihren Raubzügen, ein paar Straßen mit revolutionären und konterrevolutionären Sprüchen überzogen. Als es hell wurde, meine Herren, die Bürger von Liuyang standen in Scharen davor und guckten und haben getuschelt und diskutiert, es hatte etwas von dem Landroman von Lu Xun, wo die Nachricht über die Vernichtung der Qing-Dynastie der Mandschu sich über Gerüchte wie ein Lauffeuer in den abgelegenen Gebieten verbreitete. Und wir dummen Jungen versteckten uns an der Seite und schauten zu, waren unglaublich aufgeregt und fühlten uns als tragische Helden.
    Anschließend haben wir wie aufgezogene Sozialrevolutionäre jeden Tag die Situation in Beijing diskutiert. Wir aßen wenig, waren aber geistig voll wach. Und wir haben die Studenten der Pädagogischen Hochschule von Liuyang mobilisiert, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Aber Liuyang ist ein Nest, und die Leute sind konservativ, wir paar Sun Wukong-Affen [15] haben uns abgeplagt wie die Verrückten, aber dabei herausgekommen ist praktisch nichts.
    LIAO YIWU:
    Und da habt ihr beschlossen, nach Beijing zu gehen.
    YU ZHIJIAN:
    Später gab es dann den Hungerstreik auf dem Tiananmen. Und ein paar Studenten haben sich auf die Stufen des Volkskongresses gekniet und eine Petition überreicht. Wir hatten nicht allzu viel Ahnung von den Spielen der Politik, aber wir waren intuitiv unzufrieden und wollten nicht die Untertanen eines Feudalherrschers sein, warum also mit gesenktem Kopf auf die Knie gehen, wo uns das tyrannische Regime doch nicht beachten würde?
    Um den 16 . Mai herum haben wir, das heißt Lu Decheng, Yu Dongyue, noch zwei weitere Freunde und ich, eine Nacht lang alle möglichen Fragen des Staates diskutiert. Danach haben wir beschlossen, gemeinsam nach Beijing zu gehen. Aber wir alle waren arm wie die Kirchenmäuse und sind alle zum ersten Mal nach Norden aufgebrochen, um irgendwie Revolution zu machen. Also haben wir unseren Lohn herausgeholt, gezählt und gefunden, dass das nicht reicht. Am Vorabend unserer Abreise habe ich bei einem Kommilitonen angeklopft, der einen Einzelhandel mit Elektrogeräten betrieb, für die Revolution hat er freigiebig seinen Geldbeutel aufgemacht und uns tausend Kuai geliehen. Damals tausend Kuai, das wäre heute wohl das Zwanzigfache, nicht? Eine Fahrkarte von Changsha nach Beijing hat weit unter hundert Kuai gekostet.
    LIAO YIWU:
    Wirklich großzügig.
    YU ZHIJIAN:
    Die Chinesen haben den großen Traum von der Demokratie geträumt. Als der Fahrer auf dem Weg von Liuyang nach Changsha hörte, dass wir auf dem Weg nach Beijing waren, um die Studenten dort zu unterstützen, hat er keine Fahrkarten von uns verlangt. Wir waren sehr früh in Changsha, liefen zuerst auf die Straße des 1 . Mai und zur Provinzregierung, um zu sehen, was los war. – Meine Herren! Das Ausmaß der Studentenbewegung in der Provinz griff um sich wie ein Steppenbrand, in dem Straßengewirr war alles voller demonstrierender Studenten und Bürger, da musste unser Blut ja in Wallung geraten! Ich habe lange Beine, also bin ich wieder zu einem Markt gelaufen, habe Pinsel, Tusche und Stoff gekauft, Yu Dongyue hat sofort zum Pinsel gegriffen und ein großes Transparent mit »Auf nach Norden!« und »Nieder mit Deng Xiaoping! Beschützt Zhao Ziyang!« geschrieben und darunter als Widmung »Petitionäre aus Hunan«. Wir stellten uns damit auf den großen Bahnhofsvorplatz und hielten abwechselnd Reden. Vom Inhalt her ging es darin um das, was bei dieser Bewegung besonders in war: gegen Korruption, gegen Profiteure in der Bürokratie, Änderung der Regierungsform, Verfassungsänderung, gegen die Einparteienherrschaft und so weiter und so fort. Yu Dongyue war dafür

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