Die Kugel und das Opium
strategisch genug, wenn sie ihn festgenommen haben, dann auf dem Flughafen von Changsha oder im Hotel Galaxie, das wir vorher verabredet hatten. Sollte ich da einmal hin?
Meine Gedanken und Gefühle waren wie ein Drachen im Gewitter, es ging ständig auf und ab. Meine Konfusion dauerte schon zwei Stunden, als es hell wurde. Ich stand auf, ging vor die Tür, fasste mir auf einmal ein Herz und ging zu dem verabredeten Ort wie zum Schaffott; unterwegs habe ich wieder gut ein Dutzend Mal Bans Nummer gewählt. Ausgeschaltet! Ausgeschaltet! Ich war konfus! Sollte das eine Falle sein? Das Taxi fuhr am Hotel Galaxie vorbei, ich starrte hinaus, wenn etwas mit Ban war, dann hing es mit diesem kleinen Hotel, in dem er schon früher abgestiegen war, zusammen, aber, weiß der Teufel, ich habe das Taxi nicht anhalten lassen.
Um zwanzig nach sieben bin ich bei einem Supermarkt der GOME Electrical Appliances in der Nähe des Changsha’er Bahnhofs ausgestiegen. Ich drehte mich um und lief planlos los. Etwa eine Station weiter bin ich am Grand Hotel der Zivilluftfahrt vorbeigekommen, erreichte die Hauptstraße vor dem Galaxie und verharrte für zwei Minuten. Sollte ich hineingehen? Nein, ich zitterte am ganzen Körper, als hätte ich vorausgesehen, wie sich die Nationale Sicherheit von allen Seiten auf einen Dummkopf namens Liao stürzt und ihn zu Boden wirft.
Ich sah sogar durch schwere Dachziegel hindurch den alten Ban, nach einer Nacht intensiver Verhöre, krumm und gebeugt vor einem vergitterten Fenster – da klingelte auf einmal das Handy, es war Yu Zhijian. Er fragte direkt: Bleibt es bei dem verabredeten Ort? Ich sagte ja. Doch dann korrigierte ich mich, nein, an einem anderen Ort.
Zwei Konterrevolutionäre drückten sich gut zehn Minuten um eine Bushaltestelle herum und steckten dann die Köpfe zusammen. Yu überragte mich um eine halbe Haupteslänge, seine Frisur war auf Hochglanz, als wolle er in die Fußstapfen der unglücklichen alten Stutzer im alten Shanghai treten. Ohne uns die Hand zu geben, kletterten wir in das gleiche Taxi, rasten die kerzengerade Straße des 1. Mai entlang Richtung Stadtmitte, direkt auf die Große Brücke über den Xiangjiang zu und vorbei an der blendenden Orangeninsel im Xiangjiang vorbei.
Yu reichte mir eine Zigarette, ich lehnte dankend ab; wir versuchten ein Gespräch, aber ich war nicht bei der Sache. Yu sagte, ich hätte nicht gedacht, dass der große, berühmte Liao Yiwu noch so schüchtern ist. Ich lachte kurz und trocken. Die Sorge um meinen Freund Ban drückte mir wie ein Stein aufs Herz.
Als wir über der Brücke waren, hielten wir an. Hinter dem Restaurant Zum Ahornwald links der Brücke suchten wir ein billiges, übelriechendes Teehaus, wo wir eine halbe Ewigkeit herumkrakeelten, bis eine Wanderarbeiterin mit wirren Haaren um den Kopf sich sehen ließ. 80 Kuai ein Zimmer, eine Kanne Tee inklusive. Das war unverhohlener Straßenraub. Ich sagte sofort zu. Die Frau wies uns an, einen Augenblick zu warten, zog einen schwarzlöchrigen Vorhang auf, weckte drei weitere von ihren Kolleginnen, sie sollten noch schnell die Betten machen, die Stühle und den Teetisch zurechtstellen, Wasser aufgießen und den Laden aufmachen.
Wir schlossen das Zimmer erneut hermetisch ab, ließen nicht das geringste Luftloch. Aufgrund des Schlafmangels waren wir eisengrau im Gesicht. Yu machte sich über uns lustig und meinte, uns fehlen nur noch die Messer, dann könnten wir astreine Schurken spielen. Ich sah zu, dass ich das Tonbandgerät checkte, und nahm mir die Zeit, die handgroße Kamera auf dem Tisch aufzubauen und auf das Gesicht meines Interviewpartners einzustellen – das wäre eigentlich Sache meines Freundes Ban gewesen, ach, ach, ach.
Yu rauchte eine Zigarette nach der anderen, sah mich aus kleinen Augen schräg an, er hatte ausgeprägte Lachfalten. Ich machte einen Schnappschuss von seinem zynischen Gesichtsausdruck, dann fing ich an zu fragen.
LIAO YIWU:
Dass wir uns einmal treffen, das war wirklich keine Kleinigkeit! Konspirativ wie bei einer Untergrundpartei, hehe.
YU ZHIJIAN:
Ich habe ein paar Monate unter Hausarrest gestanden, die Polizei hat mich rund um die Uhr im Auge behalten. Aber auch der Tiger muss einmal schlafen, heute früh um kurz nach fünf, es war noch nicht hell, bin ich ihnen durch die Maschen gegangen und sofort zum Bahnhof und dann von Liuyang direkt nach Changsha gefahren. Als ich aus dem Zug ausstieg, bin ich erst noch ein paarmal im Kreis herumgelaufen,
Weitere Kostenlose Bücher