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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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richten. Also haben wir freiwillig unser reaktionäres und übergroßes Transparent vorläufig eingerollt.
    In den folgenden beiden Tagen fanden die Studenten von der Hunan-Universität in Gruppen von zweien und dreien ihre eigene Gruppierung oder Organisation und verließen wie Vögel das Nest. Die sogenannten Petitionäre von Hunan lösten sich von selbst auf, übrig blieben Yu Dongyue, Lu Decheng und ich als die drei unklassifizierbaren Kernmitglieder.
    LIAO YIWU:
    So einfach hat sich das aufgelöst?
    YU ZHIJIAN:
    Am 18 . Mai waren wir in Beijing, am 23 . ist es passiert, wir hatten uns fünf, sechs Tage dem Trubel angeschlossen. Wir haben an ein paar Studenten- und Bürgerdemonstrationen teilgenommen, haben in Reden die Abschaffung der Einparteienherrschaft propagiert, lauter so verwestlichtes Zeug. In diesen Tagen habe ich kaum geschlafen, wenn ich dann nachts nicht mehr konnte, habe ich in Unterführungen oder irgendwo an der Straße eine Plastikfolie ausgebreitet und, eingewickelt in einen Militärmantel, ein bisschen gepennt. Ich erinnere mich, dass eines Morgens, als ich die Augen aufmachte, eine Studentin auf mir drauflag. Haha! Was für eine romantische Szene!
    Die folgenden drei Ereignisse haben mich tief beeindruckt: Erstens, an der Großen Halle des Volkes hing ein riesiges Transparent mit der Aufschrift »Außerordentliche Versammlung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses«, das brachte die Leute zum Träumen, sie glaubten, die Utopie der Demokratie sei zum Greifen nah; das zweite war, dass in der Luft über dem Tiananmen eine ganze Menge Militärhubschrauber kreisten, manchmal flogen sie extrem tief, fast hätten sie das alte Stadttor geschrammt. Sie haben ständig massenhaft Flugblätter mit der Aufforderung zur Kapitulation abgeworfen: »An die betrogenen Massen«. Hehe, das war der gleiche Trick wie »Überall die Lieder von Chu«, als Xiang Yu, der Tyrann von Chu, von Liu Bang an der Grenze eingekesselt worden war und Zhang Liang auf der Flöte das damalige »Kapitulationslied« spielte, woraufhin am Ende alle das Gefühl hatten, es habe keinen Sinn mehr, und die Truppe sich von selbst auflöste.
    Zur gleichen Zeit drangen Zehntausende Truppen im Rahmen des Ausnahmezustands aus verschiedenen Richtungen in die Außenbezirke von Beijing vor und legten sich um die Hauptstadt wie ein eiserner Ring, aber sie wurden von den Beijinger Bürgern, die sich spontan zusammengefunden hatten, aus der Stadt herausgehalten. Auf dem Platz kursierten die unglaublichsten Gerüchte, die Leute wurden unruhig. Noch zu Hause in Hunan hatte ich einen dumm-radikalen Aufsatz gegen Zhao Ziyang geschrieben, in der Annahme, er stecke mit Deng Xiaoping und Li Peng unter einer Decke und mache die Volksmassen zum Sündenbock für die palastinternen Kämpfe. Aber meine »grundlosen Vorwürfe« trafen auf den Widerspruch vieler Studenten, Zhao Ziyang ist ein großartiger Mann, die Säule der ganzen Studentenbewegung, und warum ich einfach nachplappere, was man ihm nachsage?
    Das letzte Ereignis hat mich am tiefsten beeindruckt: Wang Dan, Wuer Kaixi, Chai Ling und die anderen Studentenführer waren sich in ihren Reden und ihren Forderungen nicht einig. Irgendwas von »unbedingt die Ordnung auf dem Platz aufrechterhalten«; irgendwas von »Bürger und Arbeiter, geht schnell zurück an eure Arbeit« – alles Unsinn. Und dann schreit Chai Ling in der Art von einem Schlagersternchen dauernd was von »Danke! Danke! Danke für eure Unterstützung!« und so weiter. Als wären die Studenten irgendwelche Lieblinge der Götter und nur sie hätten wirklich das Recht auf Patriotismus, und die anderen gesellschaftlichen Kräfte seien nichts als blinde Mitläufer und Unruhestifter. Verdammt, ohne die allseitige Unterstützung, nur mit den Studenten, hätten sie da so lange ausgehalten? Die Kommunistische Partei hätte schon lange mit euch aufgeräumt. Damals waren mir einige von denen extrem unsympathisch, die Einsatzkommandos standen in den Außenbezirken der Stadt, was sollten da noch interne Streitigkeiten, Diskussionen, Verwirrung, Zugeständnisse und der erzwungene Gleichmut? Das bis an die Zähne bewaffnete Militär, das waren keine Vegetarier! Wenn die anfingen zu schießen, was dann? Eine derart gewaltige Demokratiebewegung mit so viel Schwung, die zig Millionen erfasst, die wollt ihr paar Hosenscheißer einfach so beenden? Wir standen vor einem Blutbad, und die faseln etwas von nationalem Interesse –

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