Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
Eine Sekunde später ertönte die Stimme von dessen Sekretärin an seinem Ohr, teilte ihm mit, dass er mit der Mailbox von Darius Qazai verbunden sei, und bat ihn, eine Nachricht zu hinterlassen.
Natürlich könnte der alte Scheißkerl gerade einen Spaziergang machen. Oder in seinem Büro sitzen, um Vorbereitungen zu treffen. Doch irgendwie war es wahrscheinlicher, dass er etwas tat, was ihren heiklen Plan über den Haufen werfen würde: dass er sich alleine mit den Amerikanern traf, um den Preis in die Höhe zu treiben oder um ihnen mitzuteilen, das Geschäft sei geplatzt; oder dass er schließlich seiner wachsenden Verzweiflung, die Webster an ihm bemerkt hatte, nachgegeben hatte und jetzt über eine hohe Brücke balancierte oder ins Meer watete, um seinen eigenen Untergang heraufzubeschwören. Er musste ihn finden.
Webster warf einen Blick auf sein Handy, suchte Avas Nummer und rief sie an. Es klingelte zweimal, dann war die Leitung tot: Sie hatte den Anruf beendet. Er wählte erneut und hatte ihre Mailbox dran.
Während er sich mit der Hand durchs Haar fuhr, schaute er die Straße rauf und runter und gab sein Bestes, um sich zu konzentrieren. Qazais Handy klang, als wäre es abgeschaltet. Selbst wenn Webster die Mittel gehabt hätte, es zu lokalisieren, wäre das zu zeitaufwendig gewesen. Nein, die Möglichkeit kam nicht infrage. Aber Ava wusste vielleicht, wo ihr Vater steckte, und falls nicht, fand sich die Antwort darauf im Haus, zu dem nur sie ihm Zugang verschaffen konnte. Jetzt bereute er erst recht, dass er sie nicht besser behandelt hatte, und schrieb ihr eine SMS.
Wenn Ihr Vater heute Mittag nicht in seinem Büro erscheint, ist er Ende der Woche tot. Helfen Sie mir, ihn zu finden, dann erkläre ich Ihnen alles. Ben.
Er verschickte die Nachricht und hockte sich auf die unterste Treppenstufe vor dem Haus der Qazais, um zu warten. Es war inzwischen wieder warm geworden, hinter dem dichten Morgennebel zeigte sich die Sonne, und die Luft füllte sich langsam mit der aufgestauten Hitze. Webster zog sein Jackett aus und legte es über seine Knie. Wenn nötig, könnte er herausfinden, wo Ava wohnte, obwohl er nicht wusste, wozu das gut sein sollte.
In diesem Moment piepte sein Handy, und auf dem Display erschien eine Nachricht.
Sie brauchen mir nichts zu erklären. Suchen Sie ihn selbst.
Webster starrte auf die Worte und gab sich größte Mühe, ihren Sinn zu erfassen. Sie brauchen mir nichts zu erklären. Sie wusste also Bescheid. Oder? Er schüttelte besorgt den Kopf und holte tief Luft, bevor er antwortete.
Vielleicht sind Sie auch bald tot. Und andere, die Ihnen mehr bedeuten als Ihr Vater. Das sollte Ihnen klar sein, falls Sie irgendwas wissen. Rufen Sie an.
Ein Fleischerei-Lkw fuhr vorbei, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite schob ein alter Mann, der für die Gegend ungewöhnlich ungepflegt war, murmelnd sein Fahrrad den Gehweg entlang und betätigte hin und wieder die Klingel; sie klang blechern und war trotz des dumpfen Verkehrslärms aus den benachbarten Straßen deutlich zu hören. Webster beobachtete, wie er weiterging. Sie würde bestimmt anrufen.
Doch das tat sie nicht. Nicht sofort jedenfalls. Nach zwei Minuten – gerade als er überlegte, ihr Haus zu suchen und sie irgendwie von dort fortzuschaffen –, klingelte das Handy.
»Wo sind Sie?«
»In der Mount Street.«
Ava legte auf, während der alte Mann um die Ecke aus dem Blickfeld verschwand.
Drei Minuten später fuhr ein kleiner, unauffälliger schwarzer Mercedes mit getönten Scheiben vor dem Haus vor, und nach einem Moment der Unsicherheit, gerade lang genug, damit Webster sich Sorgen machte, sie könnte es sich doch anders überlegen und gleich wieder wegfahren, stieg Ava aus. Sie ging zügig auf ihn zu, so zielstrebig, dass Webster glaubte, sie würde ihm eine scheuern; und er wünschte, sie hätte es getan, als sie vor ihm stehen blieb und zu reden anfing.
»Sie brauchen mir nichts zu erklären. Ich habe es selbst herausgefunden.« Sie trug kein Make-up, und ihr Gesicht wirkte müde, die Haut unter ihren Augen schimmerte transparent und bläulich, die Augen selbst waren blutunterlaufen und schwarz umrandet, voller Zorn, als hätte sich all ihre Energie in ihnen gebündelt.
Webster wusste nicht, wo er beginnen sollte. »Tut mir leid.« Das war ehrlich gemeint, aber es klang unangebracht. »Hat er es Ihnen gesagt?« So langsam dämmerte ihm, dass Qazai womöglich abgehauen war, um sich der Wut seiner Tochter zu
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