Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
weißt du was?« Er griff nach einer weiteren Garnele. »Solche Entscheidungen trifft die Polizei nicht auf eigene Faust. Nicht irgendein verängstigter Cop vom Morddezernat in Isfahan. Ausgeschlossen.«
»Aber wer?«
»Jemand mit Macht. Dafür kommen verschiedene Stellen infrage.«
Webster trank einen großen Schluck Orangensaft und dachte nach.
»Kannst du das herausfinden?«
»Ich kann’s versuchen.«
»Wer könnte die Aktion durchgeführt haben?«, fragte er. »In Isfahan.«
»Was meinst du?«
»Also, wir haben fünf Männer, ganz schöne viele, mit Pistolen, und sie kennen Mehrs Aufenthaltsort. Entweder haben sie sein Telefon abgehört, oder sie haben die Antiquitätenhändler in ihrer Hand.«
»Keine Ahnung. Im Iran gibt es wie überall auf der Welt organisiertes Verbrechen.«
»Könnte die Regierung was damit zu tun haben?«
»Schon möglich. Für so eine Operation ist sie immer zu haben. Das muss man ihr lassen.«
»Wer hätte in dem Fall die Operation durchgeführt?«
»Die Revolutionsgarde. Höchstwahrscheinlich. Oder der VEVAK, der Nachrichtendienst.«
»Wo ist da der Unterschied?«
»Na ja.« Constance kratzte sich am Bart. »Eins musst du wissen: Jede Diktatur braucht den Terror. Um ihren Fortbestand zu sichern. Doch im Iran übersteigt er das notwendige Maß. Die stehen drauf. Es geht dabei nicht um Politik, sondern um die Gewalt selbst. Darum, etwas Böses zu tun. Deshalb richten sie so gerne Menschen hin.« Er machte eine Pause. »Kennst du die Geschichte von den Märtyrerinnen von Schiras?«
Webster kannte sie nicht.
»Warum solltest du auch? Ich schätze, du warst damals ungefähr zehn. O Mann. Drei, vier Jahre nach der Revolution wurden in Schiras zehn Frauen verhaftet, weil sie Religionsunterricht gegeben hatten. Sie waren Bahai, und darum stellten sie eine extreme Gefahr für die Revolution dar.« Er zog eine Augenbraue hoch und schüttelte den Kopf. »Eine so große Gefahr, dass sie getötet werden mussten. Alle zehn wurden zu einem Feld nahe Schiras gefahren und der Reihe nach gehängt. Die älteren Frauen zuerst, sodass die jüngeren dabei zuschauen mussten und vielleicht Abbitte leisteten. Und vielleicht zum Islam konvertierten. Doch das taten sie nicht. Die jüngste von ihnen war siebzehn. Sie küsste die Schlinge, bevor sie sie sich um den Hals legte.«
Websters Essen wurde in seinem Mund zu einem Lehmklumpen.
»Das, mein Freund«, sagte Constance mit makaberer Heiterkeit, »nennt man, die Revolution verteidigen. Die Religion muss gegen religiöse junge Mädchen und Regimekritiker verteidigt werden, und gegen jeden mit einem Funken Anstand, Intelligenz oder Leidenschaft. Und jetzt haben sie eine Scheißangst, dass sie die nächste jämmerliche Diktatur sind, die davongejagt wird, und dass sie sich für den Rest ihres Lebens zusammen mit ein paar anderen widerwärtigen arabischen Diktatoren in Caracas verstecken müssen – die sie verachten, weil sie Sunniten sind, obwohl sie sich kein bisschen unterscheiden. Das heißt, falls sie es denn außer Landes schaffen, was eher unwahrscheinlich ist. Und falls die Israelis sie nicht in die Steinzeit zurückbomben. Weißt du, sie haben ja recht, wenn sie auf der Hut sind. Vielleicht wird eines Tages tatsächlich eine Siebzehnjährige das Regime stürzen. Und so lange werden sie weiter Menschen töten.«
Webster schluckte und wartete, dass Constance zum Ende kam.
»Scheußlich, was? Natürlich sind sie gut organisiert. Man braucht die entsprechenden Strukturen, um effizient zu töten. Die Revolutionsgarde ist die Armee. Schlagkräftiger. Mit mehr Geld ausgestattet. VEVAK ist der Nachrichtendienst. Und beide stehen total drauf, Regimekritiker zu töten. Manchmal mit einer Schlinge um den Hals, manchmal mit einer dezenten kleinen Kugel in den Kopf.« Er richtete zwei Finger auf seine Schläfe. »Glaubst du, dass dein Mann politisch aktiv war?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Im Iran ist alles politisch.« Constance grinste, nahm eine Lammkeule und biss mit theatralischem Genuss hinein. »Vielleicht wurde er geopfert.«
8
Falls Zia Shokhor es in Erwägung zog, den Mann zu überprüfen, der ihn am Morgen anrief, hätte er genug gefunden, so hoffte Webster, um einem Treffen zuzustimmen. William Taylor war der Geschäftsführer von North West Associates Limited, einer Londoner Firma, die es sich laut ihrer hübsch gestalteten, wenn auch spartanischen Website zum Ziel gemacht hatte, »die Gewinnmöglichkeiten in Finanzwirtschaft und
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