Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
verwundbar. Ihre Familie fühlt sich nicht mehr sicher. Vielleicht ist das alles, was sie wollten.«
Timur sah Webster in die Augen, und in diesem Moment wirkte er entschlossen und verängstigt zugleich.
»Gibt es irgendjemanden, der ein Interesse daran haben könnte, dass Sie Dubai verlassen? Der Sie aus der Stadt vertreiben möchte?«, fragte Constance, während er an seinem frischen Drink nippte.
»Alles, was ich möchte«, sagte Timur, »ist, meine Familie in Sicherheit zu wissen.«
»Das ist nicht leicht«, meinte Webster. »Ohne zu wissen, mit welcher Bedrohung man es zu tun hat.«
Timur schüttelte wieder den Kopf. Seine Augen schienen woanders hinzustarren, und in diesem Moment spürte Webster, dass er sich mutterseelenallein fühlte. Doch er fasste sich, und als er erneut das Wort ergriff, klang er kühl, geschäftsmäßig.
»Haben Sie einen Rat für mich?«
Webster wartete einen Moment, bevor er antwortete, und sein Schweigen unterstrich den veränderten Tonfall noch. »Praktisch gesehen, sollten Sie mit einem Profi reden. Ich kenne einen guten Mann. Er heißt George Black. Er wird Sie morgen früh anrufen.«
Timur nickte. »Danke.«
»Aber ich würde es mir gründlich durch den Kopf gehen lassen, wer das gewesen sein könnte. Wir sollten uns darüber unterhalten. Wenn Ihnen was einfällt.«
Timur kaute auf seiner Oberlippe und betrachtete das strudelnde Wasser im Pool, die Augen voller stummer Angst.
9
Websters Eltern lebten in Cornwall, an der Mündung des Helford, und am Ende einer abschüssigen Böschung in ihrem Garten lag eine kleine Bucht, hinter den ausladenden Ästen mehrerer Eichen, in der man sich bei Flut mit einem Ruderboot seinen Weg über die Felsen hinweg zu einem moosbedeckten steinernen Kai bahnen konnte. Jedes Mal, wenn er dort war, lief Webster frühmorgens durch den Garten zum Ufer – das Gras unter seinen nackten Füßen fühlte sich frisch und saftig an –, hängte sein Handtuch immer über denselben abgestorbenen Ast und ging schwimmen. Heute stand das Wasser nach einer Springflut hoch, und er konnte sogar einen Kopfsprung machen; er hüpfte vorsichtig von einem rutschigen Stein, während sein Körper eine gerade Linie bildete und die Oberfläche durchbrach. Das Wasser hier war einzigartig, gleichzeitig salzig und frisch, und dermaßen dunkelgrün, dass es schwarz aussah, es wurde schnell tief und war, selbst im Herbst nach einem warmen Sommer, stets eiskalt. Es gab keinen Ort, an dem er lieber schwamm.
Im Nieselregen und morgendlichen Dämmerlicht wirkte es, als würden die frischen Blätter der Eichen vor dem Dunkel des Ufers leuchten. Er schwamm zu einer dreißig Meter entfernten Boje, pflügte sich von dort durch weitere Schichten aus Kälte und Finsternis nach unten und versuchte mit kräftigen Zügen vergeblich, den Grund zu erreichen, stieg wieder auf, durchbrach schließlich die Oberfläche und holte so tief Luft, wie er konnte, während der Sprühregen sanft auf sein Gesicht rieselte. Die Boote, die neben ihm vertäut waren, bewegten sich kaum, so ruhig war das Wasser.
Man hätte sogar zur anderen Seite der Flussmündung schwimmen können, doch er wollte heute im Wald bleiben, also wandte er der Boje den Rücken zu und schwamm flussaufwärts, vorbei am Haus seiner Eltern, Richtung Frenchman’s Creek; er hielt etwa fünf Meter Abstand zum Ufer und kraulte in einem gleichmäßigen Rhythmus. Hier standen die Eichen so dicht am Wasser, als würden sie daraus emporwachsen; ihre hängenden Äste streiften die Oberfläche, und wo das rote Erdreich abgebröckelt war, ragten die Wurzeln hervor. Die Elemente an diesem Ort – der Fluss, das Meer, die nasse Erde und der dunstige Himmel – schienen eine archaische, feuchte Verbindung eingegangen zu sein. Hier tankte Webster jedes Mal neue Energie. Wie ein Büßer seine Zweifel und Sünden in den Beichtstuhl trug, brachte er sie ans Wasser, und indem er sich mit ihnen der Reihe nach beschäftigte, fielen sie von ihm ab.
Heute waren es eine Menge. Nach Dubai fühlte er sich ausgelaugt und nervös. Drei Tage lang war er ständig zwischen der extremen Hitze und der klimatisierten Kälte hin und her gewechselt, und er hatte mit Fletcher zu viel getrunken – das alleine hätte schon gereicht, auch ohne den grauenvollen Rückflug um drei Uhr morgens, der ihn um sechs in einem grauen, müde wirkenden London wieder abgesetzt hatte. Aber nichts davon war für seinen Zustand verantwortlich. Am Nachmittag hatte er mit Elsa und
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