Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
Aber danke. Sehr nett von dir.«
»Kein Ursache, Alter. Jederzeit.«
Webster stellte sein Handy auf stumm und steckte es wieder in die Tasche. »Tut mir leid.«
Elsa nickte deutlich genervt. Im Boot war bereits zu viel Ikertu.
»Schön«, sagte er mit gespielter Heiterkeit. »Daniel. Wollen wir mal schauen, wie’s bei dir aussieht?«
Daniel hatte noch nichts gefangen, und als Webster meinte, das sei schon okay, er habe früher auch nie was gefangen, protestierte er. Er wolle noch nicht nach Hause. Das sei unfair. Er wolle bleiben, bis er so viele Fische wie Nancy gefangen habe. Webster blickte zu Elsa, doch sie schaute aufs Meer hinaus. Der Anruf hatte sie mehr genervt, als er mitbekommen hatte, oder irgendwas anderes, was er auch nicht bemerkt hatte. Ihre Stimmung war umgeschlagen.
In den letzten fünfzehn Minuten hatte der Wind, der jetzt stürmisch und kräftig war, das Boot zur Hälfte über das Mündungsgebiet geweht, sodass sie nur noch etwa zweihundert Meter vom nördlichen Ufer entfernt waren; und über der Landzunge im Süden zogen Regenwolken in der Farbe feuchter Felsen auf. Das kleine Boot tanzte unruhig über die aufgepeitschte See.
»Hattest du den Wetterbericht gehört?«, fragte Elsa.
»Das war nicht angekündigt«, sagte Webster, setzte sich ins Heck und klappte den Motor wieder ins Wasser. Daniel fing an zu weinen, und Elsa tröstete ihn, während Webster den Motor anwarf und das Boot Richtung Dorf wendete. Plötzlich fühlte er sich hier ungeschützt, verletzlicher, als er es an diesem Ort je für möglich gehalten hätte. Hohe Wellen fegten jetzt über die Mündung, und Webster fuhr in rechten Winkeln zu ihnen, sodass sich der Bug hob und herabklatschte und im hohen Bogen Gischt über das Boot spritzte. Keiner sagte etwas, die einzigen Geräusche waren der tosende Wind und das Klatschen des Bugs, und Webster, der das Boot auf Kurs hielt und hoch konzentriert war, betete beim Anblick seiner Familie, die zusammengekauert dahockte, dass sie es heil zurückschafften.
»Auch wenn er vielleicht nicht so wirkt, er kann ganz schön entmutigend sein, mein Vater.« Webster war aufgestanden, um eine Rede zu halten, obwohl das nicht nötig war. Insgesamt zwölf Personen hatten sich um einen provisorischen Esstisch versammelt, der in Wirklichkeit aus zwei kunstvoll dekorierten Tischen bestand, und im Kerzenlicht leuchteten die Gesichter der Anwesenden erwartungsvoll. Er hätte auch einfach sein Glas heben und sie auffordern können, es ihm gleichzutun – seinem Vater wäre das vielleicht lieber gewesen –, aber es gab ein paar Dinge, die er bisher nicht gesagt hatte und die gesagt werden mussten.
»Als wir noch Kinder waren, gab es am Freitagabend immer eine Diskussionsrunde. Ich glaube, beim ersten Mal war ich zehn oder elf.« Er warf seiner Schwester einen Blick zu. »Du musst damals neun Jahre alt gewesen sein. Nach dem Abendessen fragte Dad uns, ob es irgendetwas gäbe, über das wir diese Woche gerne reden würden. Doch uns fiel nichts ein. Also schlug er ein Thema vor. Etwas, das er in der Zeitung gelesen hatte, oder etwas, das ihn beschäftigte oder von dem er wusste, dass es uns durch den Kopf ging. An das erste Mal kann ich mich noch erinnern, es gab da diese riesige Demo der Friedensbewegung in London, und du wolltest wissen«, er wandte sich seinem Vater zu, »ob wir es richtig fanden, dass all diese Waffen existierten. Oder was wir über den Streik der Bergarbeiter dachten. Oder über die Geiselnahme in Beirut. Herztransplantationen. Tschernobyl.« Er holte Luft.
»Um ehrlich zu sein, einiges davon hat mir ganz schön Angst eingejagt. Ich hatte von diesen Dingen mit einem halben Ohr im Radio gehört oder ein paar Bruchstücke aus den Nachrichten aufgeschnappt, wenn wir ins Bett komplimentiert wurden, und ich wollte sie verdrängen. Das hast du nicht zugelassen. Wir müssten wissen, wie es in der Welt zugehe, damit wir keine Angst mehr hätten. Und es funktionierte, mehr oder weniger. Ich hatte zwar hin und wieder Albträume vom nuklearen Winter, nur lag das eher daran, dass mein Freund Peter Lennon mir mit Vergnügen Filme über die möglichen Folgen eines Atomkriegs zeigte. Doch alles in allem war die Welt ein weniger furchterregender Ort. Sie war zwar immer noch beängstigend, aber wir mussten keine Angst mehr davor haben.«
Webster machte eine Pause. »Er hat das für uns getan. Und was noch wichtiger ist: Er hat das auch für unzählige andere Menschen getan, für viel
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