Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
kupfergrünen Fensterläden waren frisch gestrichen, den terrassenförmigen Garten hatte man fein säuberlich gestutzt, und die Rhododendronsträucher, Azaleen und Kamelien waren gerade erblüht –, verströmte es die Erhabenheit und Zurückhaltung des Alters, als würden seine jetzigen Bewohner nur vorübergehend zur Miete wohnen und wären nicht weiter wichtig. Ja, es hätte ihr gefallen, und er hätte sie gerne bei sich gehabt, aber gleichzeitig war er unendlich erleichtert, dass sie nicht mitgekommen war.
Um fünf vor eins ging er nach unten und traf auf die Qazais, die an einem Tisch unter einem offenen Bogengang saßen. Nur Ava fehlte noch. Timur erhob sich und schüttelte ihm zur Begrüßung steif die Hand; Raisa war herzlicher, und Parviz, der schick gekleidet war, lächelte schüchtern.
Webster setzte sich gegenüber von Avas leerem Platz neben Qazai, der am Tischende thronte. Ein Kellner mit weißem Jackett, weißem Hemd und schwarzer Krawatte schenkte ihm Wasser ein, wechselte geschickt die Flaschen aus, und bevor Webster widersprechen konnte, hatte er ihm ein Glas Weißwein eingegossen.
»Auf Ihr Wohl, Mr. Webster«, sagte Qazai und hob sein Glas. »Es ist uns eine Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen.«
Webster erhob ebenfalls sein Glas und stieß mit den anderen vorsichtig an. »Danke. Es hat mich gefreut, eingeladen zu werden.« Seine Worte klangen hölzern. »Sie haben wirklich ein schönes Haus.« Es schien, als würde sich hinter Avas leerem Platz der See über sein gesamtes Blickfeld erstrecken, reglos und blau, und am anderen Ufer ragten grün bewaldete Berge empor, der höchste in der Gebirgskette dahinter war immer noch mit Schnee bedeckt.
»Danke«, sagte Qazai und verneigte sich mit einer dezenten Bewegung seines Kopfes. Er trug ein offenes Hemd, graue Flanellhosen und Slipper, und er machte einen entspannten Eindruck; allerdings fand Webster, dass seine Augen, trotz der ungezwungenen Atmosphäre, müde wirkten, und die Haut darunter trocken und dunkel. »An diesem Ort bin ich wahrscheinlich am glücklichsten. Genau hier. Zusammen mit meiner Familie.« Er hob erneut sein Glas und brachte einen stummen Toast auf sie aus.
»Ava!« Farhad, Parviz’ Bruder, war von seinem Stuhl gerutscht, rannte mit ausgebreiteten Armen über den Rasen und umklammerte ihre Beine, als er bei ihr war. Sie fuhr ihm durchs Haar, ging in die Hocke und küsste ihn, dann nahm sie ihn hoch, um ihn in flachem Bogen herumzuwirbeln. Lächelnd setzte sie ihre Sonnenbrille ab und lief über den Rasen zum Tisch, direkt zu Parviz, kniete sich hin und schloss ihn fest in die Arme. Als sie sich endlich von ihm löste, fasste sie sein Gesicht mit beiden Händen und schaute ihn ein paar Sekunden lang an; ihr Blick war so eindringlich, als würde sie gleich anfangen zu weinen.
Schließlich ließ sie ihn los, schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln, trat zu Qazai und umarmte ihn, dann Raisa und ihren Bruder. Webster erhob sich.
»Erinnerst du dich an Mr. Webster?«, fragte Qazai.
»Sicher. Hallo, Mr. Webster.« Lächelnd streckte sie ihre Hand aus, ihr Blick war jetzt nicht mehr eindringlich, sondern neckisch. Sie trug ein schlichtes hellblaues Leinenkleid. »Was halten Sie von unserem Refugium am See? Nicht zu verwechseln mit dem am Meer, dem in den Bergen oder all den anderen Refugien.«
»Es ist wunderschön.«
Ava setzte sich, die Augen auf Webster gerichtet, und wartete darauf, dass man ihr Wein einschenkte.
Jetzt, wo alle da waren, entfaltete Qazai seine Serviette und breitete sie behutsam über seinen Schoß. »Ich habe Mr. Webster erzählt, dass ich hier am liebsten bin. Der See und die Berge sind etwas ganz Besonderes …«
»Sie erinnern dich an den Iran. Ja, wissen wir.« Obwohl Ava lächelte, lag in ihrer Stimme ein beißender Unterton.
Qazai lächelte ebenfalls, wenn auch ein wenig unbeholfen. »Meine Tochter kennt mich zu gut«, sagte er an niemand Bestimmtes gerichtet. »Aber wussten Sie«, er lehnte sich über den Tisch und deutete in den Garten, »dass sämtliche antiken Gärten im Iran mit Zypressen bepflanzt waren? Sie sehen nicht ganz so aus wie diese hier – buschiger und nicht so gerade gewachsen –, aber seit Anbeginn der Geschichte gibt es in meinem Land Zypressen.«
Ava schüttelte mit gespielter Überraschung mehrmals den Kopf. »Nein, ehrlich, das wusste ich nicht.« Sie wandte sich an Timur. »Wusstest du das?«
Timur runzelte ein wenig die Stirn, als verstünde er nicht ganz, was Ava
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