Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
erst recht, dass er es hier zur Sprache brachte. »Nein, es war keine einfache Zeit.«
»Ich kann es Ihnen nachfühlen«, sagte Qazai. »Um wichtige Ziele zu erreichen, ist man manchmal gezwungen, den Misserfolg zu akzeptieren. Jeder hier kennt das, denke ich.«
Webster schaffte es, gleichzeitig zu nicken und seinen Impuls zu unterdrücken, Qazai zu fragen, was er damit denn bloß gemeint habe, und dann wurde er von Ava, die kurz und laut auflachte, aus seiner Verärgerung gerissen.
»Daddy, jetzt schau dich doch mal um.« Sie schüttelte mit gespielter Verwunderung den Kopf. »Sieh dir das hier alles an. Es gibt nur wenige Familien, die so vom Schicksal begünstigt wurden wie wir.«
»Misserfolg hat nicht immer etwas mit Geld zu tun, Ava.«
»Ich dachte, es dreht sich alles ums Geld.« Sie hatte die Augen herausfordernd aufgerissen und den Kopf leicht zur Seite geneigt.
Ganze fünf Sekunden lang schaute er sie mit starrem Gesichtsausdruck an.
»Ava, das ist jetzt der falsche Zeitpunkt.« Sein Mund verformte sich zu einem Lächeln, nicht jedoch seine Augen. »Außerdem sieht dir das gar nicht ähnlich. Bitte, lass uns an diesem wunderschönen Tag das Essen genießen.«
»Mr. Webster zuliebe?«
»Uns allen zuliebe.«
»Tut mir leid, Mr. Webster«, sagte Ava. »Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen.«
»Das haben Sie nicht.« Er und Ava tauschten Blicke aus; anders als bei ihrem ersten Treffen meinte Webster in ihren Augen echte Wut erkennen zu können.
Dann wurden die Speisen aufgetragen, und den Rest des Essens verbrachte man im gezwungenen, wenn auch einigermaßen flüssigen Gespräch über Kinder und Ausbildung, über Urlaubserlebnisse und andere Themen, die man im gegenseitigen stillschweigenden Einvernehmen für unverfänglich hielt. Qazai führte das Wort und teilte die Konversation mit der Ausgewogenheit eines Diplomaten am Tisch auf. Die einzigen Personen, die er nicht daran beteiligte, waren Parviz und Farhad, die brav dahockten und dem heißen, sonnigen Tag nachtrauerten.
Hin und wieder bezog er Timur in eine seiner Geschichten mit ein oder wollte zu irgendeinem Thema seine Meinung hören, aber die meiste Zeit hielt sein Sohn sich zurück. Webster fragte sich, ob er in der Gesellschaft seines Vaters immer so war, ob er sich nicht traute, er selbst zu sein, oder ob er nur gedankenabwesend war, oder müde, oder gelangweilt von dem Muster, nach dem die Beziehung von Ava und ihrem Vater ablief; und Webster fragte sich, warum sein Vater ihn eingeladen hatte, sodass er Zeuge all dieser Unbehaglichkeit wurde, und kam zu dem Schluss, dass Timur genauso verwundert war wie alle anderen.
Als der Kaffee abgeräumt wurde, erhob Qazai sich und bedankte sich bei allen für ihre Gesellschaft und fragte sie, ob es ihnen etwas ausmachen würde, wenn sie ihn mit Mr. Webster und Timur jetzt alleine lassen würden, sie hätten einiges zu besprechen. Raisa und Ava kamen seiner Bitte sofort nach und folgten Parviz und Farhad, die mit ihren dünnen Beinchen lachend ins Haus rannten. Webster sah ihnen neidisch hinterher und fragte Qazai, ob er eine Zigarette rauchen dürfe.
Qazai wollte, dass Timur bei ihrem Gespräch zugegen war; schließlich sei es wichtig, dass er genau wisse, was die Nachforschungen ergeben hätten. Webster fiel es schwer, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen; denn der ganze Sinn, sich an so einem abgeschiedenen Ort zu treffen, bestand ja darin, mit Qazai alleine zu sprechen und zu sehen, wie er ohne Zuhörer seine Fragen beantwortete. Webster konnte zwar ein paar stichhaltige Gründe dafür vorbringen und erklärte ihm, dass er ihn auch zu Sachen befragen werde, die vielleicht nicht für Timurs Ohren bestimmt seien, doch Qazai bestand darauf, und in dem Fall waren einem mehr oder weniger die Hände gebunden. Nicht zum ersten Mal verfluchte Webster Ike, weil er diesen unmöglichen Auftrag angenommen hatte.
Einen kleinen Erfolg konnte er jedoch verbuchen: Sie gingen ins Haus. Keine harte Befragung ließ sich durchführen, während die Nachmittagssonne im See glitzerte und die leichte Brise mit ihrer Wärme alles einlullte. Die drei zogen sich in Qazais Arbeitszimmer zurück, einen schlichten, kühlen Raum im nordwestlichen Teil des Hauses, der von ledergebundenen Büchern auf Mahagoniregalen gesäumt wurde und durch einen kleinen Hain aus Birnenbäumen einen Blick auf eine Terrasse bot, die mit Rosen und Kamelien bepflanzt war. Qazai setzte sich hinter seinen Tisch, ein
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