Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
schmierig.
»Nur mit einem Anwalt.« Webster lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
Der ältere hörte auf, seine Nägel zu bearbeiten, und blickte ihn ernst an. Auf seinen Wangenknochen wuchsen dunkle Härchen, und seine pockennarbige Haut war mit grauen Stoppeln übersät. Er lächelte nicht.
»Das Abhören von Telefonen. Sechs Jahre.« Während er weiterredete, zählte er an den Fingern die Vorwürfe ab, sein Dialekt war derber und ausgeprägter als der seines Kollegen, er sprach langsam und mit krächzender Stimme. »Die Bankgeschichte. Acht Jahre. Und der Rest. Fünf Jahre.« Er beugte sich über den Tisch, bis sein Gesicht dreißig Zentimeter von Websters entfernt war. »Ich mein’s ernst«, sagte er und nickte langsam. »Kein Spielchen.« Sachte schüttelte er den Kopf, lehnte sich zurück und nahm seine alte Position wieder ein, die ganze Zeit den Blick auf Webster gerichtet. »Kein Spielchen. Während Ihre Kinder größer werden, hocken Sie hier in Italien.«
Webster spürte, wie sich sein Körper verkrampfte und wie er von ohnmächtiger Wut überwältigt wurde. Die Fragen, um die es eben noch zu gehen schien, verabschiedeten sich, und an ihre Stelle traten Bilder: Verhöre, Treffen mit Anwälten, Gefängnisaufenthalte, Auslieferungsersuche, eine wütende und verängstigte Elsa.
Früher hätten die Männer auf der anderen Seite des Tisches keine Macht über ihn gehabt. Er hatte schon in ähnlichen Räumen gesessen, mit gefährlicheren Männern, ihre Fragen beantwortet und versucht herauszufinden, was sie wirklich wollten, welche Rolle er in ihren ausgeklügelten Hirngespinsten spielte. Aber noch nie hatte er solche Angst verspürt. Allerdings nicht vor den Männern selbst oder vor dem, wozu sie in der Lage waren; es war die Angst davor, dass das, was er früher vielleicht einmal getan hatte, das zerstörte, was für ihn jetzt das Kostbarste auf der Welt war.
Er brauchte Luft, und Bedenkzeit, und zum ersten Mal an diesem Tag dämmerte ihm, dass er kein freier Mann mehr war. Er konnte nicht einfach durch die Tür dort marschieren, durch Mailands Straßen schlendern, ein paar Telefonate führen und hätte bei seiner Rückkehr die Situation wieder unter Kontrolle. Er konnte nicht mit der nächsten Maschine nach Hause fliegen und die Kinder von der Schule abholen. Er war jetzt hier, und das war alles, was zählte.
»Ich will meinen Anruf machen.«
»Signore Webster.« Der jüngere der beiden zog seinen Stuhl an den Tisch heran und stützte mit gefalteten Händen die Ellbogen darauf ab. Er schien etwas Schwerwiegendes vorbringen zu wollen. »Ich rate Ihnen dringend zu kooperieren. Das macht es leichter für Sie, leichter für uns. Das Ergebnis der Ermittlungen ist völlig offen. Wir sind hier in Italien.«
Webster betrachtete sein blasses, teigiges Gesicht und fragte sich, in wessen Auftrag er handelte.
»Lassen Sie mich meinen Anruf machen.«
»Gleich, Signore. Wir möchten, dass die Angelegenheit auf Italien beschränkt bleibt – eine harmlose Sache hier vor Ort, die wir im Griff haben. Wenn Sie kooperieren, verspreche ich Ihnen, dass wir die britische Polizei da raushalten werden. Die Kollegen sind zwar mit dem Fall vertraut, aber ich glaube, man sagt, sie lassen ihn derzeit ruhen.«
»Meinen Anruf. Vorher hören Sie nichts von mir.«
Nach reiflicher Überlegung hatte Webster bei Elsa angerufen. Sie könnte Ike dann erzählen, was zu tun war, aber es wäre nicht fair gewesen, ihn zu bitten, Elsa zu informieren. Gemäß ihrer Art reagierte sie ruhig und pragmatisch – wie ernst die Sache sei, hatte sie wissen wollen, und wie lange man ihn wohl festhalten werde –, und er hatte zuversichtlicher geklungen, als er Grund gehabt hatte. Um ehrlich zu sein, hatte er gesagt, er wisse es nicht.
Seine Anweisungen für Ike waren einfach gewesen: Nimm mit unseren besten Freunden in Mailand Kontakt auf, lass dir von ihnen einen Strafverteidiger empfehlen, der herauskriegen kann, welches Spielchen die Polizei hier spielt, und vor allem, wer hinter der ganzen Sache steckt. Elsa hatte wissen wollen, ob er okay sei, und er hatte wahrheitsgemäß geantwortet, dass es ihm gut gehe. Er sei zwar wütend, frustriert und zerknirscht, weil er diesen Dreck in ihr Leben bringe, doch sonst gehe es ihm gut.
Einen Anwalt zu finden, zu beauftragen und herzuschicken, würde vielleicht einen Tag dauern. Inzwischen hatte man Webster – er war hungrig, hatte sich aber inzwischen beruhigt – in eine Zelle gebracht,
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