Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
Platte aus. Am liebsten hätte er das Handy quer durchs Zimmer geworfen, aber vor allem musste er die Nachricht lesen.
Sie war von Constance. Und sie umfasste nur fünf Wörter: Timur Qazai tot. Melde dich.
ZWEITER TEIL
15
Eine Beerdigung sollte nicht im Hochsommer stattfinden. Selbst in Highgate, auf den sanft ansteigenden Hügeln im Norden Londons, fand die schwüle Luft aus der Stadt ihren Weg durch die Eichen und Ahornbäume zu den Trauergästen, die sich um Timurs Grab versammelt hatten, und hüllte sie in eine zähflüssige Hitze, die auf die Haut zu tropfen schien und daran kleben blieb. Webster schwitzte in seinem Wollanzug, er spürte, dass sich an der Innenseite seines Kragens Dreck abgesetzt hatte, und löste ihn mit seinem Finger von seinem Hals. Ameisengroße Fliegen, angezogen von den weißen Hemden der Männer, schwirrten lautlos umher, und neben ihm schlug Hammer nach einer von ihnen und schnippte ihre Überreste dezent fort.
Kühle Erde, das hätte Timur verdient, aber der Boden hatte sich offensichtlich erhitzt und schien keinen Frieden zu gewähren. Unwillkürlich stellte Webster sich vor, wie er in dem Sarg lag, während dieser mit Qazai an der Spitze von den Leuten des Bestattungsunternehmers hergetragen wurde. Die Leiche war wohl übel zugerichtet. Er sei gestorben, hatte die Polizei in Dubai erklärt, als sein Wagen mit etwa hundertfünfzig Stundenkilometern gegen eine Wand gefahren sei. Er sei mit der Seite aufgeprallt; denn im letzten Moment habe sich sein Wagen gedreht, sodass er im Innern zerquetscht worden sei. Webster stellte sich den gewaltigen Lärm dabei vor und die noch größere Stille, die darauf wohl gefolgt war.
Es war keine aufwendige Beerdigung – ohne Prunk und ohne Pomp –, aber die Trauergäste waren zahlreich erschienen. Webster konnte eine Gruppe wohlhabender Iraner ausmachen, und einige Leute kannte er vom Gedenkgottesdienst für Mehr: eine Handvoll Tabriz-Mitarbeiter und einige Freunde von Timur und Raisa, die weniger vermögend als die anderen waren. Und dann waren da die Qazais, in ihren schwarzen Kleidern und schwarzen Anzügen, dezimiert, ein matter Abglanz jener Menschen, die er zum letzten Mal vor zwei Wochen am Comer See gesehen hatte.
Timurs Söhne waren beide da, gekleidet in Trauer, und Raisa hatte sie fest an sich gedrückt. Parviz starrte schweigend auf die schwarzen Wände des frisch ausgehobenen Grabes, während Farhad, dicht an seine Mutter geschmiegt, das Gesicht gegen ihre Taille gepresst hatte, eher verschüchtert; und nur ab und zu, wenn sie ihm übers Haar strich, schaute er hervor. Raisa selbst, aus deren Gesicht die Farbe gewichen war, schüttelte unablässig den Kopf, als wäre sie hier fehl am Platz.
Das alles konnte Webster von der anderen Seite des Grabes aus erkennen. Er sah Timurs Mutter, die ehemalige Mrs. Qazai, die mit ihrem neuen Ehemann abseits der Familie stand, das blonde Haar hochgesteckt, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen. Er sah Senechal in seiner üblichen Uniform, mit der er wie ein Vertreter aus dem Jenseits wirkte, der Inventur machte. Und da war Ava, mit gesenktem Kopf, die Augen geschlossen. Qazai, blass und hager, aufrecht und adrett in seinem Anzug, gab sich große Mühe, gegen den ungewohnten Ausdruck von Angst und Paranoia in seinen Augen anzukämpfen.
Es war eine ruhige Zeremonie. Der Geistliche richtete mit seiner leisen Stimme das Wort lediglich an die Familie, und Webster, der weit vom Grab entfernt stand, konnte die Gebete nicht hören, während der Leichnam in die Erde hinabgelassen wurde. Als er fertig war, nahm Raisa von einem ordentlichen Haufen neben dem Grab eine Handvoll feuchter Erde und warf sie auf den Sarg hinunter, wo sie sanft prasselnd landete. Als ihre beiden Söhne es ihr gleichtaten, ging sie in die Hocke und hielt sie danach lange schweigend im Arm. Schließlich erhob sie sich wieder, lächelte beide an, wischte ihre Tränen fort und führte sie durch eine dunkle Eichenallee zu den wartenden Autos.
Timurs Mutter war nun an der Reihe, dann Ava, und dann Qazai, der lange dastand – eine Minute vielleicht – und mit der Erde in der Hand auf den Sarg hinabstarrte, bevor er sie fallen ließ. Ohne zu blinzeln, mit eindringlichem Blick, aber trotzdem geistesabwesend. Webster fragte sich, ob er irgendwie durch das Holz hindurchschaute, um eine letzte Botschaft zu übermitteln, oder ob er sein eigenes Seelenleben erforschte. Hinter ihm und um ihn herum löste sich die Trauergemeinde
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