Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
vor diesen Reisen hat er jedes Mal einen Anruf von demselben Handy erhalten. Von einem britischen Prepaid-Handy. Ich habe das bei Vodafone überprüft. Für die Anmeldung wurden eine falsche Adresse und ein falscher Name verwendet. Und mit diesem Handy wird immer nur eine Nummer angerufen – die von Qazai. Sonst keine. Es wurde vor zwei Jahren angemeldet, und innerhalb dieses Zeitraums wurden nur sechs Anrufe getätigt. Einer vor jeder Reise, sowie drei andere. Aber in den letzten vierzehn Tagen gab es noch zwei weitere Anrufe. Beide bei dieser Nummer.«
Das war interessant. Hätte Webster auf sicherem Weg mit einem Informanten kommunizieren wollen, hätte er es genauso getan, und hätte er sich heimlich mit ihm treffen wollen – unbeobachtet und geschützt – hätte er sich womöglich ebenfalls für diese Orte entschieden. Das alles war zwar interessant, aber dürftig und nicht direkt verwendbar.
»Danke, Dean. Trotzdem, schick mir die Rechnung.«
»Ist das dein Ernst?«
»Ja. Qazais Sohn ist gestorben.«
»Du hast einen sehr anständigen Klienten«, sagte Dean nach einer Pause.
»Was soll das heißen?«
»Na ja, einige Leute würden sagen, das wäre der Zeitpunkt, um weitere Nachforschungen anzustellen.«
»Einige schon«, sagte Webster.
Und das war es dann wohl. Webster war so sehr davon überzeugt, dass sich die Welt geändert hatte, dass er den Anruf von Qazais Sekretärin, in dem sie ihn und Hammer zur Beerdigung einlud, als Bestätigung dafür betrachtet hatte. Als offizielles Angebot eines Waffenstillstands.
Websters Großvater war gestorben, als er neun war. Ein Jahr und einen Tag lang hatte seine Großmutter, eine Katholikin, Schwarz getragen: anfangs von Kopf bis Fuß, und mit der Zeit kamen nach und nach ein paar gedämpfte Farben hinzu. Fasziniert hatte er sie gefragt, warum sie das tat, und sie hatte ihm erklärt, sein Großvater würde gerne sehen, dass sie ihn vermisst, und auf diese Weise würde sie es ihm zeigen. An der schwarzen Kleidung könne er das erkennen.
Am Tag nach der Beerdigung, während er zusammen mit Hammer die Mount Street hinunterging, wieder in schöner Eintracht, dachte Webster, Qazais Verhalten sei keine Art zu trauern: mit all den Meetings, Verhandlungen und Geschäftsangelegenheiten. Was verriet es über Qazai, dass er daran festhielt? War es Herzlosigkeit oder Verbissenheit? Oder einfach Verzweiflung? Vor einer Woche wäre das eine der Fragen gewesen, die Webster vor allen anderen gerne beantwortet gehabt hätte, doch jetzt konnte er kein Interesse dafür aufbringen. Was er gestern gesehen hatte, hatte ihm vor Augen geführt, dass sein Klient, egal wie stolz, schwierig, ja, und bösartig er sein mochte, ein Mensch war und darum etwas Mitleid verdient hatte. Auch etwas Demut: Wer war Webster schon, sich anzumaßen, über diesen Mann zu urteilen?
Während der Nacht hatte es geregnet, sodass die Luft ein wenig abgekühlt war, trotzdem war es immer noch heiß und selbst um zehn Uhr schon ungemütlich warm. Mayfair erwachte später als andere Teile Londons zum Leben und blieb trotzdem ruhig. Das galt auch für Hammer, zumindest für seine Verhältnisse. Er ließ Webster wissen, dass sich seine Laune keineswegs gebessert hatte und dass das Ultimatum nicht aufgehoben war, nur weil Timur gestorben war, und Webster verspürte eine gewisse Erleichterung darüber, dass er sich ausnahmsweise mal nicht mit ihm streiten musste.
In Qazais Haus wurden sie vom Butler, feierlicher als sonst, ins Wohnzimmer geführt, wo die zahlreichen Kunstschätze sich nur schwach von der Dunkelheit abhoben. Die Vorhänge waren zugezogen, und das Licht kam einzig von vier großen Lampen mit Stoffschirmen, die entlang der Wände standen. Die Luft war abgestanden und warm, es müffelte.
Qazai und Senechal erhoben sich von ihren Sofas, reichten ihnen die Hände und signalisierten ihnen, sich zu setzen. Dabei wurde kein Wort gesprochen. Webster hatte die Augen auf Qazai gerichtet, der sich, die Hände akkurat auf den Oberschenkeln, zurücklehnte und einen festen Punkt vor sich anstarrte; die Haut unter seinen Augen war violett und schwarz wie ein Bluterguss. Neben ihm wirkte Senechal geradezu lebendig. Und er war es auch, der das Wort ergriff.
»Gentlemen. Ich möchte Mr. Qazai nicht länger als nötig aufhalten. Darum komme ich gleich zur Sache. Sie hatten zwei Monate und Hunderttausende von Pfund zur Verfügung. Wir brauchen den Bericht. Sofort.«
Ausnahmsweise verspürte Webster nicht das
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