Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
beschämenden, aber vagen Erkenntnis; so wie man sich am nächsten Tag daran erinnert, dass man sich im Suff danebenbenommen hat. Er schüttelte den Kopf und begann zu sprechen. »Nein«, sagte Qazai, »Sie hören mir jetzt zu. Kehren Sie zu Ihrer Frau zurück. Kehren Sie zu Ihrer Familie zurück. Und wenn Sie Ihren familiären Verpflichtungen nachkommen, wenn Sie ein ganzer Mann sind, dann können wir über mich reden. Und über meinen Sohn.«
Qazai erhob sich und schaute zu Hammer. »In der Zwischenzeit möchte ich meinen Bericht haben. Bis morgen.«
Webster stand jetzt ebenfalls auf und wollte etwas sagen oder tun, um die Sache ein für alle Mal zu klären, doch er war völlig neben der Spur, ihm fiel nichts ein. Er konnte nur ohnmächtig Hammers Worten lauschen.
»Sie kriegen ihn in einer Woche.«
»Morgen. Oder ich wende mich an die Presse.«
»In einer Woche. Oder morgen erscheint auf der Titelseite der Financial Times eine fette Geschichte darüber, dass niemand Ihre Firma kaufen will, weil Sie womöglich ein Kunstdieb sind. Und was auch immer Sie da in Mailand angeleiert haben, das muss aufhören, oder ich lasse das ebenfalls durchsickern.«
»Ich habe nichts angeleiert, Mr. Hammer.«
»Na, jedenfalls können Sie die Sache beenden.«
Qazai richtete sich auf. Er war fast einen Kopf länger als Hammer, und er gab sein Bestes, um aus größtmöglicher Höhe auf ihn herabzublicken.
»So langsam verstehe ich die Denkweise in Ihrer Branche, Mr. Hammer.«
Hammer erwiderte seinen Blick mit der Andeutung eines Lächelns um die Mundwinkel. »Und ich Ihre.«
Draußen war die Mount Street auf beruhigende Weise normal. Die Sonne schien, Taxis fuhren vorbei, Leute gingen spazieren. Webster hatte das Gefühl, als käme er gerade aus einer Höllenshow, von einem teuflischen Zeitvertreib, und obwohl man ihn wieder ins Licht entlassen hatte, geisterten die Gedanken wild durch seinen Kopf.
»Unfassbar«, sagte Hammer, während er die Straße hinaufblickte. »Scheiße, Mann, ich fass es nicht.«
»Hab ich dir doch gesagt. Der Typ ist echt ein Mistkerl.«
»Nicht er, du. Eigentlich war alles in trockenen Tüchern, aber du schaffst es nicht, die Sache zu Ende zu bringen. Scheiße, kannst es nicht dabei belassen.«
Er lief Richtung Berkeley Square und gab Webster mit erhobenem Arm zu verstehen, dass er stehen bleiben und die Klappe halten sollte. Dann drehte er sich mit wütendem Gesichtsausdruck um.
»Ich weiß nicht, wer schlimmer ist. Ihr beiden benehmt euch wie Babys. Tu mir einen Gefallen: Hör auf, dich zu streiten, Mann, und bring diesen Scheißfall zu Ende.«
Der Bericht war harte Arbeit, nicht weil Webster nicht wusste, was er schreiben sollte, sondern weil jeder Satz eine Herausforderung darstellte. Er stand zwar nicht unter Eid, und er war auch nicht verpflichtet, die volle Wahrheit zu schreiben, doch jede bewusste Auslassung und jede beschönigende Formulierung musste er seinen Fingern gewaltsam abringen. Die Ruhe, die er nach Timurs Beerdigung verspürt hatte, war verflogen, und während er mühevoll die Worte auf den Bildschirm brachte, hörte er immer noch, wie Qazai ihn mit unerbittlicher Schärfe herunterputzte, einiges davon gelogen, einiges wahr, und beides hatte ihn tief getroffen.
Er wurde immer wütender und konnte sich nicht mehr konzentrieren; ständig ging er die Fakten des Falls durch, in der Hoffnung, dass er doch noch herausfand, wie alles zusammenhing, aber es lag alles nach wie vor im Dunkeln, und sosehr er sich auch bemühte, es wollte ihm nicht gelingen. Mehr war ermordet worden, allerdings nicht von irgendwelchen Banditen, sondern von jemandem, der wusste, was er für Qazai tat. Jemand in der iranischen Regierung – Geheimdienst oder Revolutionsgarden – hatte seinen Tod organisiert oder zumindest gebilligt. Plötzlich kam Webster ein unliebsamer Gedanke. Vielleicht war das Geld, das Mehr durchgeschleust hatte, dazu bestimmt gewesen, oppositionelle Gruppen im Iran zu finanzieren. Vielleicht war Qazais Geheimnis nobel und Timurs Tod der schreckliche Preis für stilles Heldentum.
Nein. Das klang vielleicht stimmig, aber das erklärte nicht, warum Qazai so dringend Geld besorgen musste, dass er seine Bemühungen kaum unterbrach, um seinen Sohn zu betrauern, oder warum er alle sechs Monate zu einem Geheimtreffen einbestellt wurde, und warum er es für nötig gehalten hatte, Websters Freiheit zu bedrohen.
Was eigentlich einen Tag hätte dauern sollen, zog sich über zwei und, bei
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