Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
Also: Was hatte Webster vor?
Er erzählte ihr, dass er sich für einen Mann namens Qazai interessiere, der morgen hier einfliegen würde. Er wollte alles über die Leute wissen, mit denen Qazai sich traf: Wer sie waren, von wo sie angereist kamen, wo sie danach hinfuhren, wie sie ihre Reise bezahlt hatten. Aber vor allem wollte er wissen, wo Qazai und sein Anwalt übernachteten.
»Das dürfte nicht allzu schwierig sein«, sagte Kamila, beugte sich über den Vordersitz und grinste Webster an, und er erwiderte ihr Lächeln.
Am nächsten Tag wurde Webster – er war ganz verfroren und steif von der Klimaanlage – im Morgengrauen vom Aufruf zum Gebet geweckt. Er zog sich die Decke über den Kopf, und während er einen Moment lang so dalag, lauschte er dem Muezzin.
Sein erster Gedanke galt Elsa. Er hatte sie vor dem Abendessen angerufen, und sie hatte ihn gebeten, etwas zu versprechen: dass mit seiner Rückkehr die ganze Sache abgeschlossen sei, egal was bei seiner unangemessenen Spritztour nach Afrika herauskomme. Er hatte es versprochen, und damit war ihr kurzes Gespräch beendet. Ein Grund mehr, den Tag zu nutzen. Er versuchte sich vorzustellen, wie sich die Sache entwickeln könnte, doch nur der Anfang war klar: Es würde am Flughafen beginnen; dort würde er in Driss’ Wagen auf Qazai warten und Kamila mit Youssef auf Senechal. Was danach geschah, war ungewiss.
Qazais Maschine sollte am späten Mittag eintreffen; Oliver hatte herausgefunden, dass Senechal aus Paris kam und um elf Uhr fünfzehn landen würde. Webster, Kamila und ihre Söhne hatten den Nachmittag und den Großteil des Abends zu ermitteln versucht, wo die beiden Männer übernachteten, jedoch ohne Erfolg. Es gab in Marrakesch mehr als vierhundert Hotels, und sie hatten wohl die Hälfte davon angerufen; die andere Hälfte kam für jemanden wie Qazai nicht infrage. Wahrscheinlich hatte er ein Apartment gemietet oder benutzte einen falschen Namen, und obwohl das keine Katastrophe war, machte das die ganze Operation besonders heikel, denn sollten sie Qazai verlieren, würden sie ihn kaum wiederfinden. Um neun hatten sie sich geschlagen gegeben, und Kamila war mit Webster Abendessen gegangen.
Es war jetzt Viertel nach fünf Uhr morgens und immer noch dunkel. Webster nahm das Handbuch des Hotels vom Nachttisch; Frühstück wurde erst in zwei Stunden serviert. Er griff nach seinem eigenen Buch, legte es aber gleich wieder zurück, er war viel zu nervös, um zu lesen.
Also stand er auf, duschte, aufs Rasieren verzichtete er, zog seine Jeans und ein hellgraues Hemd an und trat aus dem Zimmer in den kühlen Morgenschatten der Medina hinaus. Gemächlich kletterte die Sonne empor, und das einzige Licht in der schmalen Gasse kam von den vereinzelten Straßenlaternen, die an einer korallenrosanen Wand befestigt waren. Dies war ein idealer Ort für Intrigen: Hinter jeder Biegung wartete womöglich eine Überraschung, hinter jeder Tür ein Geheimnis. Zwanzig Minuten lang, während er sich durch das Labyrinth der Gassen schlängelte, sah Webster keinen einzigen Menschen, und das einzige Geräusch war der Gesang der Vögel.
Was erwartete er, in Marrakesch zu finden? Die Leute, die Qazai kontrollierten, hoffte er. Die Leute, denen er Geld schuldete, die Leute, die ihn erpressten, die Leute, die er womöglich hintergangen hatte. Irgendwo entlang der Spur des Geldes, die Oliver so geduldig verfolgt hatte, mussten sie zu finden sein, und in seiner Vorstellung lebten sie noch immer dort, allerdings nur als blutleerer Gedanke, und weigerten sich, zum Leben zu erwachen. Es konnte sich um eine Person oder viele handeln, von wer weiß wo, und die wer weiß was planten.
Doch aus irgendeinem Grund wusste er, dass sie hier in Marrakesch waren und gerade aufstanden, an diesem Tag, der für sie genauso wichtig war wie für ihn, und dass sie wie er auf Qazai warteten.
Webster hasste Überwachungsaktionen. Auch wenn sie so einfach waren, musste man hellwach und hoch konzentriert sein.
Um neun holte Kamila ihn ab, bekleidet mit einer knöchellangen Djellaba und einem Kopftuch: »Damit fällst du nicht auf.« Zusammen fuhren sie zum Flughafen, wo Driss und Youssef bereits Position bezogen hatten. Webster hatte allen Fotos von Qazai gegeben, die er Interviewbeiträgen und Nachrichtenartikeln entnommen hatte, von Senechal hatte er keines, und obwohl wahrscheinlich fünf Wörter gereicht hätten, um ihn zu beschreiben – in Marrakesch gab es bestimmt niemanden, der ihm
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