Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
ein Dutzend kleiner schmuddeliger Firmen zu Schiffen mit Kisten voller Gewehre und Raketen, die für die Hisbollah oder die Hamas bestimmt waren. Vielleicht handelte es sich bei Chiba um einen Geschäftsmann, der wie die anderen lediglich ein Glied in der Verwertungskette war, allerdings befand er sich an ihrem Ende, und auch wenn er die Sache vielleicht nicht selbst geplant hatte, so wusste er doch bestimmt, wer am anderen Ende der Kette stand. Womöglich war das die Person, die Qazai immer wieder anrief und die ihn jetzt nach Marrakesch kommen ließ. Webster stellte sich vor, wie das perfekte Ergebnis der nächsten zwei Tage aussähe: ein Foto, das die beiden Männer zusammen zeigte; eine Kopie von Chibas Pass aus dem Gästebuch seines Hotels. Mehr bräuchte er nicht.
Das Flugzeug landete pünktlich – keine Warteschleife, keine Umwege, keine Verzögerung, nichts, was ihn davon abhielt, seinen bescheidenen Plan in die Tat umzusetzen. Und zwar, Qazai zu verfolgen, ihn am Flughafen abzupassen und zu beschatten, bis er zu der Verabredung ging, die ihn offensichtlich hergeführt hatte. Und anschließend die Leute zu observieren, mit denen er sich getroffen hatte, um herauszufinden, wer sie waren.
Wie verabredet, traf er sich mit Kamila am Hertz-Schalter, allerdings war die Beschreibung, die sie von sich gegeben hatte, so gut, dass er sie überall erkannt hätte. »Ich bin klein, grauhaarig und schiele auf einem Auge«, hatte sie gesagt, und das fasste es gut zusammen. Sie trug keine Kopfbedeckung, ihr dichtes, welliges silbergraues Haar war recht kurz geschnitten, und ihr linkes Auge schaute nach links, nur leicht, sodass man bei der ersten Begegnung nicht wusste, auf welches Auge man sich konzentrieren sollte. Sie hatte ein freundliches Gesicht, ehrlich, aber wachsam, ihren eindringlichen Augen und ihrer spitzen Nase entging nichts.
»Willkommen, Mr. Webster«, sagte sie und griff nach seiner Hand, schüttelte sie kräftig und lächelte zur Begrüßung zu ihm hinauf: Sie war mindestens einen Kopf kleiner als er. Sie trug eine schwarze Leinenjacke und darunter ein langes graues Kleid, das ihre Fülle nur notdürftig verdeckte. »Es ist mir eine große Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen. Das ist mein Sohn Driss.«
Driss war groß, dünn und attraktiv, und er hatte eine ausgeprägte arabische Nase und ruhige Augen. Er war höchstens zwanzig und lächelte Webster schüchtern an, als sie einander die Hand reichten. Sein Haar war dicht wie das seiner Mutter, schwarz und glänzend.
»Wie geht’s Ike?«, fragte Kamila, während sie die beiden aus dem Flughafengebäude führte. Driss bestand darauf, Websters Koffer zu tragen.
»Er strotzt vor Gesundheit.«
»Joggt er immer noch?«
»Jeden Tag. Zu viel.«
Die Glastüren glitten auf und entließen sie hinaus nach Marrakesch, in die Hitze. Sie war hier noch schlimmer als in Dubai, feuchter, und während sie zum Wagen liefen, merkte Webster, dass er zu schwitzen anfing. Zum Glück trug er ausnahmsweise keinen Anzug.
Auf der Fahrt in die Stadt fragte Webster Kamila über ihre Arbeit für Ikertu und ihre Beziehung zu Hammer aus. Sie hatten sich vor fünfzehn Jahren in Paris kennengelernt, als er Beweise dafür suchte, dass ein russischer Geschäftsmann in einen sich ausweitenden Skandal verwickelt war, bei dem es um einen illegalen Waffenverkauf nach Afrika ging. Kamila, die damals eine junge Beamtin des DGSE, des französischen Geheimdienstes war, hatte sich mit ihm getroffen und ihm eine Reihe äußerst amüsanter Lügen aufgetischt. Fünf Jahre später, nachdem sie mit ihrem neuen Ehemann Frankreich verlassen hatte und nach Marokko zurückgekehrt war, dem Land ihrer Eltern, in dem sie jedoch nicht geboren war, hatte sie Kontakt mit Hammer aufgenommen und ihm von ihrem neuen Geschäft erzählt, einem Beratungsunternehmen, dessen Ziel es war, ausländischen Firmen die undurchsichtigen politischen Verhältnisse in Nordafrika zu erklären. Seitdem hatte sie an einem halben Dutzend Fällen für Ikertu gearbeitet, auch an weniger bedeutenden: Bei ihrem letzten Auftrag musste sie die Geliebte eines marokkanischen Politikers aufspüren; das war nicht gerade das, was sie sich vorgestellt hatte, als sie hergekommen war. Doch für Ike führte sie gerne solche Jobs durch – neben ein paar anderen –, und dabei nahm sie die Dienste ihrer Söhne, Driss und Youssef, in Anspruch, denn sie konnten gewisse Dinge tun, die einer Frau verwehrt waren. Obwohl das nicht viele waren.
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