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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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Vaterunser – »Unser täglich Brot gib uns heute« – ist ein gegen den Wettbewerb gerichtetes, in seinem Fatalismus geradezu orientalisches Glaubensbekenntnis. Gewisse Formen der Arbeit waren von den Priestern für akzeptabel erklärt worden – Landbau, Backen und Bierbrauen –, doch Arbeit im Allgemeinen, besonders der Handel, galt als eitles Unterfangen. Aber dann änderte sich die Einstellung, wie Jacques Le Goff beschreibt:
    Die Menschen des Mittelalters betrachteten Arbeit zunächst als Buße oder Züchtigung für die Erbsünde. Dann, ohne den Standpunkt der Buße aufzugeben, legten sie zunehmenden Wert auf Arbeit als Mittel der Erlösung, der Würde, der Rettung. Sie sahen Arbeit als Kooperation mit dem Werk des Schöpfers, der am siebenten Tage ruhte. Arbeit, jene geliebte Last, musste der Ächtung entwunden und, individuell und kollektiv, in den Felsenpfad zur Befreiung verwandelt werden.
    Mithin war es die Aufgabe der neuen Gildenmitglieder und Kaufleute, die ungehindert arbeiten und handeln wollten, komplexe Wertsysteme zu etablieren, die Gott nicht kränkende Arbeitsweisen festlegten. Die Prinzipien der Arbeit lauteten, dass sie kreativ und von hoher Qualität sein solle; dass man nicht zu viel Arbeit verrichten dürfe, sich über Preise einigen, seine Handwerkerkollegen schützen und auf Wettbewerb verzichten solle. Mit anderen Worten: Ausbeutung war zu vermeiden. Zum Beispiel verbot man Nachtarbeit, da sie den unfairen Wettbewerb fördern könne. Die Preise waren fix, und Geldverleih gegen Zinsen – oder Wucher – wurde wie früher geächtet. Das System war eindeutig wettbewerbsfeindlich. Mitgliedsbeiträge und Bußgelder wurden in eine Gemeinschaftskasse eingezahlt und für prächtige Feste, den Bau von Innungshäusern und für Almosen verwendet.
    Diese lange Periode der Kooperation wurde von Heinrich VIII. rüde beendet, der die katholische Kirche zu ruinieren begann, weil er Sex mit Anne Boleyn haben und seine Schatzkammern mit Gold, das der Kirche gehörte, füllen wollte. Die Reformation wird in der Regel als bedauerliche Notwendigkeit hingestellt, aber das ist ein protestantischer Standpunkt, und man muss fragen, ob wir nicht einer gewissen Gehirnwäsche unterzogen worden sind. William Cobbett beschreibt den Prozess in seiner Geschichte der protestantischen Reform wie folgt:
    Eine gründliche und ehrliche Untersuchung wird uns nunmehr zeigen, meine Freunde, dass es in hohem Grade eine Änderung zum Schlimmen war; dass die »Reformation«, wie sie heißt, in thierischer Brunst erzeugt, in Gleisnerei und Treulosigkeit auferzogen, und mit Raub, Zerstörung und Strömen unschuldigen englischen und irischen Blutes gefüttert wird; und das, was ihre entfernteren Folgen betrifft, einige davon nunmehr uns vor Augen in dem Elende, in der Bettelei, in der Entblößung, in dem Hunger, in dem ewigen Hader und Groll, die wir jetzt allerwärts gewahr werden und die unser Ohr betäuben, und die uns die »Reformation« zum Ersatz für den Wohlstand, die Glückseligkeit, die Eintracht und christliche Liebe gab, deren sich unsere katholischen Voreltern in so vollem Maße und durch eine so lange Reihe von Jahren erfreuten.
    Heinrich VIII. war zwar nicht gerade ein Puritaner, doch seine Plünderung der Klöster und sein Bruch mit Rom kamen dem entstehenden Puritanismus sehr zustatten. Zwischen 1500 und 1760 wuchs das puritanische Lager in England – gemeint sind die ernsten, jeglichem Vergnügen abgeneigten Menschen, die Schwerarbeiter, die Selbstverleugner, die Gegner des Weihnachtsfestes, die einsamen Pilger, die Abreißer des Maibaums, die Parlamentarier, die Feinde der Freude und des spontanen Lebens –, bis es sich schließlich durch die industrielle Revolution und die verschiedenen Flurbereinigungsgesetze, mit denen der Boden privatisiert wurde, auf das ganze Land ausweitete. Diese Leute hassten Prunk, Pracht, Gold und Weihrauch, und die Tatsache, dass man die Kirchen ihres Glanzes beraubt hatte, passte gut zu ihrem herben Geschmack. Danach kehrte sich das gesamte Projekt gegen sie, denn der logische nächste Schritt nach dem Protestantismus ist der Atheismus: Warum sollte man überhaupt noch an Gott glauben?
    Aber die Erinnerung an die kommunistische Lebensweise, die vor der Revolution geherrscht hat, dauert an, und seit dem Beginn des neuen Systems rebellieren wir immer wieder und träumen von humaneren Alternativen. Es ist faszinierend festzustellen, dass ungefähr zur selben
    Zeit etwas Ähnliches

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