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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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vom Geist geschmiedet:
    Betrachte jeglichen Akt, und sei es denn der Akt des Fluchens, der Trunkenheit, des Ehebruchs oder des Diebstahls. Doch diese Akte unterscheiden sich schlicht und einfach nicht vom Akt des Gebets und des Preisens. Warum überlegst du? Warum bist zu zornig? Alle sind eins; in einem ist nicht mehr Heiligkeit, nicht mehr Reinheit als im anderen.
    Die Moral ist vom Menschen gemacht. Diese Auffassung geht auf die Sufis und die Freigeist-Bewegung zurück und erstreckt sich bis hin zu Nietzsche, Sartre, den Situationisten und den Punks.
    Im neunzehnten Jahrhundert gab es eine Fülle von Versuchen, den Wettbewerb als Organisationsprinzip zu beseitigen. Zum Beispiel gab es Robert Owen, den zum Philanthropen gewordenen Fabrikanten; die Kolonien der Chartisten; John Minter Morgan, der sich »ordentlich gebaute Dörfer voller Einheit und Kooperation« ausmalte; James Smith, der 1833 den Glauben des Saint-Simonismus verkündete: »Wettbewerb und Antagonismus müssen Genossenschaft und Gemeinschaftsinteressen weichen.« Alle möglichen Gesellschaften entstanden: die National Community Friendly Society, die Association of All Classes (später zu Universal Society of Rational Religionists zusammengefasst) und die United-Advancement-Gruppen. In Tytherley in Hampshire und in Manea Fean in East Anglia wurden Genossenschaftskolonien gegründet.
    1871 schuf John Ruskin die St. George’s Guild, die zum Teil auf den mittelalterlichen Gilden basierte. Er plante, eine Gemeinschaft aus Handwerkern nach genossenschaftlichem Modell aufzubauen, und erwarb zu diesem Zweck die St. George’s Farm in Sheffield. Seine Arbeiter sollten die »Behüter eines neuen Lebens« sein, »eher im Geist einer zum Missionarsdienst zusammengekommenen Schar von Mönchen als einer Schar von Handwerkern«. Die Kolonie scheiterte wegen eines wahnsinnigen selbst ernannten Sehers namens Riley, der sie zu tyrannisieren versuchte. Gleichwohl waren Ruskins Ideen und Experimente außerordentlich einflussreich, besonders für einen anderen Kenner des Mittelalters, nämlich William Morris. Dieser schrieb: »Kameradschaft ist der Himmel und Mangel an Kameradschaft die Hölle; Kameradschaft ist Leben und Mangel an Kameradschaft der Tod.«
    Ein anderer großer Denker auf diesem Gebiet war der christliche Anarchist Leo Tolstoi, der nach Art der Digger von »der Gründung einer neuen Religion« träumte, »die dem gegenwärtigen Zustand der Menschheit entspricht, also der Religion des Christentums, doch befreit von Dogmen und Mystik; einer praktischen Religion, die nicht künftige Glückseligkeit verheißt, sondern sie auf Erden verwirklicht«. Was ihm vorschwebte, war kein gütiger Staatssozialismus – der, wie wir heute wissen, ein Unheil ist –, sondern Selbstregierung und die freie Kooperation föderierter Gruppen. Tolstois Buch Das Königreich Gottes ist in euch, in dem Jesu Bergpredigt als Anleitung für ein Leben ohne Gewalt und ohne Wettbewerb interpretiert wird, machte einen starken Eindruck auf die damaligen Intellektuellen. Er war sozusagen ein früher Vorläufer von CRASS.
    Zwei Männer namens J. C. Kenworthy und J. Bruce Wallace gründeten, durch den russischen Schriftsteller inspiriert, 1894 den Brotherhood Trust. Als Erstes bauten sie eine Obst- und Gemüse-Genossenschaft auf, die genug Geld für den Kauf von Land einbringen sollte. Ähnliche Zellen wurden in Hackney und Walthamstow eingerichtet, und 1896 verkündete Kenworthy auf dem Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongress in London:
    Die englische Nation ist bereit, Politik als Waffe aufzugeben und sich der industriellen Zusammenarbeit nach freien anarchistisch-kommunistischen Prinzipien zuzuwenden … wir sind in den letzten Stadien einer korrupten Zivilisation. Eine falsche Lebenseinstellung, ein Glaube, dass Selbstsucht das notwendige Verhaltensgesetz sei, hatte jede breitere Sicht der geistigen Wahrheit für uns beendet und uns den gröbsten Irrtümern des Materialismus ausgeliefert.
    Kenworthy gründete seine kleine Kolonie in Purleigh in Essex. Bald umfasste sie 65 Menschen, und ein Reporter des Clarion schrieb: »Sie haben die Kluft vom Wettbewerb zur Kooperation übersprungen, ohne auf die Brücke der Sozialdemokratie zu warten, und sind an den Ufern des Anarchismus angekommen.« Die Mitglieder besaßen knapp zehn Hektar Land, 200 Apfelbäume, 250 Stachelbeersträucher, Kühe und Hühner und bauten genug Gemüse für den eigenen Bedarf an. Auch verfügten sie über eine

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