Die Kunst, frei zu sein
System der Armenfürsorge besteht darin, dass der Empfang von Unterstützung verachtenswert geworden ist und dass Armut in heutigen Zeiten als Schande betrachtet wird. Der Wunsch der Reformer, der Bettelei ein Ende zu setzen und dafür zu sorgen, dass die Verfügung der Bibel, niemand solle essen, der nicht arbeite, möglichst buchstäblich angewandt wurde, bewog sie, dem Empfang von Almosen, außer durch Kranke und Behinderte, ein gewisses Maß an moralischer Missbilligung entgegenzubringen. Dadurch nahmen die Armengesetze der reformierten Länder häufig einen Grad an Strenge den Armen gegenüber an, der in katholischen Tagen glücklicherweise fehlte.
Heute wird die Wohltätigkeit jedoch von riesigen Konzernen beschlagnahmt, die die Ärmeren durch aufgeblähte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausbeuten. Wohltätigkeit ist zu loben, aber im Kapitalismus werden unsere entsprechenden Instinkte missbraucht. Die Arbeit für eine Wohltätigkeitsorganisation ist nun eine Karrieremöglichkeit für Leute, die eine Menge Geld verdienen und der Welt gleichzeitig demonstrieren wollen, wie mitfühlend sie sind. Hilfsleistungen und Schuldenerlass sind gewöhnlich mit Auflagen verbunden: Wer zahlt, der mahlt. Westliche Staaten bieten afrikanischen Ländern an, ihre Schulden abzuschreiben, doch nur, wenn sie das westliche Modell übernehmen. Dies ist in der Regel ein Kürzel dafür, den Ausbeutern zu gestatten, dass sie eine autarke ländliche Wirtschaft durch eine städtische, lohnabhängige, industrielle Ökonomie ersetzen. Die satirische Zeitschrift Whitestones brachte eine Glosse über die Aktion »Feed the World« von Live Aid, die den Titel »Milk the World« trug und die Bemerkung »Money down the drain, Swiss banks overflow« (Geld fließt den Bach hinunter, und Schweizer Banken werden überschwemmt) enthielt. Mittlerweile kann Wohltätigkeit einfach dazu dienen, der Exportwirtschaft neue ausländische Märkte zu öffnen. Und institutionelle Wohltätigkeit kann lokale Unternehmen und Vielfalt zerstören. In Sambia zum Beispiel ist die einheimische Modebranche fast völlig vernichtet worden, weil Oxfam billige gebrauchte Kleidung aus dem Vereinigten Königreich einführte.
Schulden können zum Sklaventreiber werden, aber sobald du begreifst, dass sie nicht wirklich existieren, bist du in der Lage, dich von ihnen zu befreien, denn wie kannst du durch ein Fantasieprodukt versklavt werden? Pfeif auf die Wucherer. Warum solltest du dir etwas aus ihnen machen? Sie sind ja sowieso zur Hölle verdammt! Grinse über ihre Drohbriefe, lach über ihre kümmerlichen Gestalten auf Bildschirmen, kichere über ihr langweiliges Leben und über die Verdammung, die sie erwartet!
ZERSCHNEIDE DEINE
KREDITKARTE
10
Tod dem Einkaufen oder Flucht aus
dem Gefängnis der Konsumsucht
Das Beste ist, Freude zu empfinden,
ohne ihr Sklave zu sein – nicht, auf Freude zu verzichten.
Aristippus, 435–356 v. Chr.
Die Warnungen stehen schon in der Bibel. Adam und Eva lebten höchst zufrieden im Garten Eden. Sie arbeiteten nicht, aber sie konsumierten auch nicht. Es scheint sich um eine vorlandwirtschaftliche Epoche zu handeln, in der die Speisen, die man benötigte, von Bäumen und Hecken gepflückt wurden (das ist übrigens immer noch möglich: Vor kurzem sammelten wir auf einem Spaziergang einen Beutel voll Sauerampfer und Nesseln, aus denen Victoria ein köstliches Risotto zubereitete). Adam und Eva mochten keine Jäger gewesen sein, doch sie waren unzweifelhaft Sammler. Aber dann erschien das Konsumverlangen oder das Aufstiegsstreben in Gestalt der Schlange. Dieses kapitalistische Ungeheuer weckte in Adam und Eva die Vorstellung, dass die Dinge besser sein könnten. Daraufhin wurden sie sogleich aus dem Garten vertrieben und zu einem Leben voller Mühe, Schinderei und Qualen verurteilt. Wünsche verdrängten Bedürfnisse, und seitdem geht es bergab.
Heute sind wir von unseren Wünschen gefangen, vom Shopping gefesselt. Die Einkaufssucht ist eine zersetzende und schwächende Kraft.Wir wollen ein neues Paar Schuhe, ein neues Auto, ein neues Haus, ein neues Sofa, ein neues Fernsehgerät. Um diese Dinge kaufen zu können, brauchen wir Geld. Also binden wir uns an einen Arbeitgeber, um das Geld zu erhalten, oder wir machen Schulden, indem wir es uns von einem der vielen institutionellen Wucherer auf dem Markt borgen. Und das nennen wir Freiheit. Unsere natürliche Absicht, das Leben zu genießen, wird vom Konsumsystem in etwas Materielles und
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