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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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– dies sind keine Akte der Apathie, sondern Ausdruck einer radikal neuen Beziehung unseres eigenen Ichs zur Gesellschaft. Faul und apathisch ist man hingegen, wenn man einen Arbeitsplatz hat, seine Stimme abgibt und Fluctin schluckt, denn auf diese Weise überlassen wir anderen die Kontrolle über unser Leben und akzeptieren stillschweigend, dass wir mehr oder weniger nutzlos sind, wenn wir uns nicht krümmen, um uns in ein für uns vorgeplantes Handlungsmodell einzupassen. Dies sind Akte des Aufgebens. Sobald du dich aber von den dich fesselnden Strukturen löst, beginnst du, dir ein neues Leben der Eigenständigkeit aufzubauen. Und Eigenständigkeit hilft dir im Gegensatz zur Heftpflastermethode, dich mit deiner Melancholie abzufinden, statt sie mit Medikamenten zu verbannen. Ohnehin wirken Medikamente nicht: Eine Untersuchung nach der anderen bestätigt, dass Placebos die gleiche Wirkung haben wie Tabletten und dass der Körper selbst es ist, der die Genesung herbeiführt. Auch gute Ärzte helfen dabei: Wenn der Patient dem Arzt vertraut, ist es wahrscheinlicher, dass der Körper sich selbst heilt.
    Eine sehr einfache Lösung für diejenigen, die ein Gegenmittel zur Melancholie suchen, ist körperliche Arbeit. Brotbacken, Gartenarbeit, Tischlern – diese Dinge sind produktiv, kreativ und verlangen einen körperlichen Einsatz. Sie vereinigen Körper und Seele und erzeugen ein Gefühl der Harmonie. Man mag überrascht sein, dass ein Müßiggänger die Vorzüge körperlicher Arbeit empfiehlt, aber sie ist unzweifelhaft hilfreich. Wir müssen die seelenzerstörende durch eine seelenerschaffende Arbeit ersetzen.
    In seiner »Ode an die Melancholie« (1820) rät Keats, sich nicht volllaufen zu lassen (was er als Lethe bezeichnet) und keine Antidepressiva zu nehmen (die er Bilsenkraut und Nachtschatten nennt). Stattdessen schlägt er vor, einen Spaziergang zu machen, die Blumen zu betrachten und einzusehen, dass Melancholie eine Schwester der Freude ist und anerkannt werden muss:
    1.
Nein, nein, geh nicht zu Lethes dunklem Reiche,
Dem Bilsenkraut musst du den Saft nicht rauben;
Und leide nicht, dass dir die Stirn, die bleiche,
Nachtschatten küsse mit den Purpurtrauben;
Flicht nicht den Rosenkranz aus Taxusbeeren,
Lass nicht den dunklen Totenfalter sein
Der Psyche Bild – und nicht die Eule wähle,
Um deines Grams Mysterien zu hören.
Auf Schatten dringt zu traumhaft Schatten ein,
Umnebelt wird die wache Angst der Seele.
    2.
Doch soll die Schwermut dir vom Himmel sinken,
Schnell, wie die Wolke weinend niederquillt,
Aus der die welken Knospen Leben trinken
Und die in Schnee die grünen Hügel hüllt,
Dann lass am Rosentau dein Leid sich weiden,
Am Regenbogen auf der salzigen Flut,
An der Päonie reicher Blütenpracht.
Und will im Zorn dich die Geliebte meiden,
Fass ihre Hand, lass ihr den raschen Mut
Und schau ihr tief, tief in des Auges Nacht.
    3.
Sie weilt bei Schönheit – Schönheit, welche stirbt,
Und Freude, die zum Abschied an die Lippen
Den Finger drückt, und Wonne, die verdirbt,
Zum Gifte wird, wenn Bienen daran nippen
Ja, grade in der Freude Tempel lässt
Die Schwermut sich errichten den Altar;
Nur sichtbar ihm, der kühn voll Leidenschaft
Den Kelch der Lust an seine Lippen presst;
Sein Geist allein wird ihre Macht gewahr,
Und als Trophäe hält sie ihn in Haft.
    SCHMEISS
DIE TABLETTEN WEG

18
    Jammer nicht; sei fröhlich
    Es ist unsinnig, sich beklagen zu wollen,
weil ja nichts Fremdes darüber entschieden hat,
was wir fühlen, was wir leben oder was wir sind.
Sartre, Das Sein und das Nichts, 1943
    Sir, ich habe mich noch nie über die Welt beklagt,
und ich glaube auch nicht, dass ich Grund zur Klage habe.
Man kann sich eher darüber wundern,
dass ich so viel habe.
Dr. Johnson, in: Boswell,
Das Leben Samuel Johnsons, 1781
    Als ich mich durch Das Sein und das Nichts von Sartre hindurcharbeitete, stellte ich zu meinem Erstaunen fest, wie praktisch die Existenzphilosophie ist, wenn man sie auf das Leben anwendet. Auf den ersten Blick scheint das Buch schrecklich abstrakt und wissenschaftlich zu sein, voller Ausführungen über Sein für sich selbst und Sein für andere, über Faktizität und Essenz. Aber den Kern des Projekts bildet der schlichte Aufruf, die Verantwortung für unser Leben zu übernehmen und zu begreifen, dass wir unsere eigenen Reaktionen bestimmen und uns für die Freiheit entscheiden können. Wenn im Herzen des Menschen ein Nichts ist – eine Ansicht, die auch Thomas von Aquin vertritt

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