Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
uns austricksen und umgehen - an der Tatsache, dass jeder von uns seinem Selbstbild Rechenschaft abzulegen hat, kommen wir nicht vorbei. Jeder normale Mensch ist auf diese Weise gestrickt. Und wer diese Schwierigkeiten und Nöte nicht kennt, darf sich zu einer sehr fragwürdigen Minderheit zählen. Wer etwa andere abwertet, um sich selbst aufzuwerten - einer der häufigsten Tricks in unserem Leben -, rettet sich möglicherweise selbst in der Situation den Kopf. Er fühlt sich freier und besser. Langfristig und dauerhaft jedoch vermiest er sich mit solchen Mitteln die Chance auf ein glückliches und erfülltes Leben.
• Der kategorische Komparativ. Warum wir nie verantwortlich sind
Der kategorische Komparativ
Warum wir nie verantwortlich sind
Falls es stimmt, dass eine halbe Wahrheit schon eine halbe Lüge ist, muss logischerweise eine halbe Lüge schon eine halbe Wahrheit sein. Zwei halbe Lügen wären dann die volle Wahrheit.
Guy Rewenig
Luxemburg ist ein friedliches Land. Im Jahr 2008 aber schwappten die Emotionen zwischen Sauer und Mosel hoch wie selten zuvor. Pünktlich zum Autofestival hatte Umweltminister Lucien Lux eine neue Kampagne zum Schutz des Klimas vorgestellt. Autos, die einen geringeren CO2-Ausstoß hatten, sollten beim Autokauf belohnt werden. Ganze 750 Euro schenkte der Staat jedem klimafreundlichen Autokäufer dazu. Im Gegenzug erhöhte der Minister die Steuern für besonders umweltschädliche Fahrzeuge. Schon seit dem 1. Januar 2007 berechnet der Staat die Autosteuern nicht mehr nach der Größe des Hubraumes, sondern nach dem CO2-Emissionswert des Fahrzeugs.
Auch die Bevölkerung in Luxemburg hält den Klimaschutz für ein wichtiges Ziel. Man ist umweltfreundlich, und man kann es sich leisten. Der gebildete Luxemburger weiß auch, dass gerade der Individualverkehr in einem erheblichen Ausmaß das Klima belastet. Luxemburg ist ein Autoland. Der Kult ums eigene Blech ist noch größer als in den Nachbarländern. Das Benzin ist billig. Und was der Luxemburger nicht in die Luft bläst, das besorgen die Tanktouristen. Nach Angaben des Umweltministeriums haben sich die Schadstoffbelastungen zwischen 1990 und 2006 fast verdreifacht: von 2,7 Millionen auf 7,3 Millionen Tonnen CO 2 .
Auch Luxemburg hat das Kyoto-Protokoll unterzeichnet. Es hat sich verpflichtet, seine CO2-Emissionen bis 2012 gegenüber 1990 um 29 Prozent zu reduzieren. Eine Umfrage im Jahr 2006 hatte ergeben, dass sich 84 Prozent der Luxemburger Bürger einen Umweltminister wünschten, der ganz konkreten Klimaschutz betreibt. Doch als Lux die größten Umweltschädlinge unter den Fahrzeughaltern zur Kasse bat, blies ihm ein Sturm der Entrüstung entgegen. Wut, Protest und Häme breiteten sich aus. »Wenn mich in den vergangenen Jahren etwas enttäuscht hat«, beschwerte er sich, »dann der fehlende Mut der politischen Klasse in der Diskussion um die Autosteuer. Obwohl im Vorfeld ein breiter Konsens zu besagten Steuern herrschte, wurde am Ende von verschiedenen Seiten eine politische Debatte geführt, die schlicht unwürdig war.« 1
Was war geschehen? Luxemburgs Autosteuern gehören zu den geringsten in Westeuropa. Und auch nach der Reform wird fast jedes zweite nach 2008 zugelassene Auto mit weniger als 100 Euro im Jahr besteuert. Nur acht Prozent zahlen mehr als 300 Euro im Jahr. Wie also konnten Teile der alles in allem ebenso wohlhabenden wie umweltfreundlichen Luxemburger Bevölkerung gegen eine Maßnahme Sturm laufen, die ihren besten Absichten und langfristigen Interessen entspricht? 2
Nun ist der Luxemburger gewiss kein Sonderfall. Beim Auto, so darf man auch in anderen Ländern annehmen, hört die Moral auf. Unter der Schutzhülle des Blechs verlässt viele der soziale Instinkt unserer Ahnen, der unseren friedlichen Umgang mit anderen gemeinhin garantiert. Gepanzerte Außenhäute, gepardengleiche Geschwindigkeiten und ein ausgedehnter Platzbedarf von sechs Quadratmetern waren in unserer psychischen Evolution offenbar nicht vorgesehen. Doch auch im Umgang mit unserem vierrädrig erweiterten Selbst entflieht uns sichtbar die Vernunft. Zurechnungsfähige Menschen geben ihren Autos Namen. Und der Staat, der ihre persönliche Sicherheit garantiert, ihre Ausbildung und ihre Rente, erscheint als der natürliche Feind.
Luxemburgs Bürger können sich die neue Autosteuer leisten. Lebten sie in Deutschland, dürften sie sogar darüber jubeln, wie wenig sie zahlen müssen. Aber die protestierenden Luxemburger
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