Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
jubelten nicht. Sie sorgten dafür, dass ihr Umweltminister, der ihnen die schreckliche Zumutung beschert hatte, nicht wieder gewählt wurde. Ganz offensichtlich hatten sie sich nicht mit ihren europäischen Nachbarn verglichen, sondern einzig und allein mit dem Standard vor der Reform.
Das Land Luxemburg lebt, wie kein zweites in der Eurozone, von der internationalen Finanzwirtschaft. Und es ist hochgradig von ihr abhängig. Luxemburg ist eine Tropenhalle in einem Zoo. Öffnete man das Dach, so wäre das Biotop in kürzester Zeit dahin. Die Papageien darin aber würden kaum woandershin fliegen, weil sie zu lange schon mit der Hand gefüttert werden. Wie können gut ausgebildete erwachsene Menschen so seltsam sein? Wie gelingt es ihnen, die Augen vor der sie umgebenden Realität so fest zu verschließen? Wie kann ein geringfügig erhöhter Geldbetrag für die Autosteuer schlimmer sein als der Klimawandel?
Um diese Fragen zu beantworten, muss man verstehen, auf welche Art und Weise sich Menschen mit anderen vergleichen. Alles, was wir über uns selbst wissen, wissen wir im Austausch und im Vergleich mit anderen. Wir wissen, wer wir sind, weil wir wissen, was wir nicht sind. Und weil wir wissen oder ahnen, wie andere uns sehen. Um das Urteil der anderen einzuschätzen, müssen wir diese anderen wiederum vergleichen. Mit anderen anderen und mit uns selbst. Unser ganzes soziales Leben ist eine schier unendliche Abfolge von Vergleichen. Der kategorische Komparativ ist dem Menschen angeboren, der kategorische Imperativ nicht.
In einer idyllischen kleinen Nebenstraße im Stadtteil Lindenthal findet sich der Lehrstuhl für Sozialpsychologie der Kölner Universität. Das Gebäude ist frisch saniert, der Standard liegt weit über dem Niveau der meisten anderen Universitätseinrichtungen. Mein erster Vergleich an diesem Morgen. In dem
Institut, in dem ich vor fast zwanzig Jahren an der Kölner Uni gearbeitet habe, hatte es weniger komfortabel ausgesehen. Verabredet bin ich mit dem Lehrstuhlinhaber Thomas Mussweiler. Ein junger Professor mit einem Lächeln wie Dieter Nuhr. Die Vergleichsstatistik würde vermutlich auswerfen: Deutschlands renommiertester Sozialpsychologe, mindestens seiner Generation. Mussweiler ist gerade erst einundvierzig. Vor vier Jahren hat er den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis erhalten, die bedeutendste wissenschaftliche Auszeichnung im deutschsprachigen Raum.
Seit dieser Zeit ist Mussweiler eine feste Größe der Zunft. Erhalten hat er den Preis, weil er eine kleine Revolution auslöste und ein fast fünfzig Jahre altes Dogma kippte. Ziemlich lange hatten Sozialpsychologen angenommen, soziale Vergleiche hätten eine ziemlich schlichte Regel. Vergleiche ich mich mit Menschen, die ich als »schlechter« empfinde, geht es mir gut. Vergleiche ich mich mit »besseren«, fühle ich mich unwohl. Der Mechanismus ist auch jedem Nicht-Wissenschaftler vertraut. Wenn ich in der Schule eine Vier geschrieben hatte, habe ich meine Eltern immer gerne darauf verwiesen, wie schlecht die Arbeit insgesamt ausgefallen war. »Ihr solltet mal sehen, wer alles eine Fünf hat.« Das half mir. Die graue Vier färbte sich merklich heller. Die Politur meiner Worte frischte sie auf. Noch ein paar weitere Sätze, und sie würde anfangen zu glänzen. Schimmerte sie nicht bereits schon ein wenig? Mein Vater hingegen war wenig beeindruckt. Abfälliges Lächeln. Auch er hatte stets die besten Vieren seiner Klasse geschrieben. Ich brauchte mir also keine weitere Mühe zu geben, ihn zu überzeugen.
Auch Mussweiler kennt die Vorzüge und Nachteile von Aufund Abwärtsvergleichen. Selbstverständlich gibt es Fälle, bei denen ein Vergleich nach unten erhebt und ein Vergleich nach oben deprimiert. Wer beim Fitnesstest an Michael Jordan denkt, ist leichter zu demotivieren, als wenn er sich dabei den Papst vorstellt. 3 Als junger Student hatte Mussweiler seine eigenen Erfahrungen
damit gesammelt. Als einer der besten Matheschüler seines Jahrgangs hatte er nach dem Abitur angefangen, Mathematik zu studieren. Doch an der Uni wehte ein anderer Wind. Unter zahlreichen hochbegabten Mathegenies musste er seine Selbsteinschätzung revidieren. Drei Monate hielt er den Vergleich aus. Danach sattelte er um auf Psychologie. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, lächelt er sein Dieter-Nuhr-Lächeln: »Ich habe es nicht bereut, wahrscheinlich wäre ich sonst heute ein schlechter Versicherungsmathematiker.«
Mussweilers eigentliche Pointe aber ist,
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