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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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sie auf unterschiedlichen Ebenen statt. Wir leben in einer Welt der Sachzwänge, in der wir selten moralisch verantwortlich sind und schon gar nicht für das große Ganze. Aus diesem und noch aus einigen anderen Gründen haben wir es uns angewöhnt, moralisch nur selten für etwas zuständig zu sein.

    Unsere Gesellschaft und unser Wirtschaften machen es uns schwer, uns für moralische Fragen zuständig zu fühlen. Dabei ergibt sich noch eine zusätzliche Schwierigkeit von enormer Bedeutung. Die meisten Austauschprozesse in unserer Welt werden mithilfe eines Mediums geführt, das nicht nur wertneutral ist, sondern auf eine ganz bestimmte Art und Weise Werte sogar zerstört - durch Geld.
     
    • Im Netz der Spinne. Was Geld mit Moral macht

Im Netz der Spinne
    Was Geld mit Moral macht
    Ich hab’ feste Grundsätz’, fest bleib’ ich dabei. Nur wenn ich ein Geld seh’, da änder’ ich’s glei.
    Johann Nepomuk Nestroy
     
     
    Die Szene ist rührend. Zweimal versucht der Mann mit dem Stapel Bücher in der Hand, die Schranktüren aufzumachen. Vergeblich! Da tritt das kleine, 14-monatige Kind, das alles aus der Ecke des Raumes beobachtet hat, hervor. Es geht zielstrebig zum Schrank und öffnet die Türen. Anschließend blickt es den Mann freundlich an. »Bitte schön«, scheint es zu denken, »deine Türen sind jetzt auf!« 1
    Das Video ist eines von vielen aus einer Versuchsreihe von Felix Warneken und Michael Tomasello. 2 Die beiden Forscher vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig untersuchten dabei die spontane Hilfsbereitschaft von Kleinkindern und Schimpansen. Ob es darum ging, einen Textmarker aufzuheben oder einen Schwamm zurückzubringen - in allen Fällen zeigten sich die Kleinkinder und die Schimpansen spontan hilfsbereit.
    Frappierender als in diesen Videos lässt sich die natürliche Kooperationsbereitschaft unserer Spezies und ihrer nahen Verwandten kaum zeigen. Für die Verfechter der Idee, dass wir unbedingte Gen-Egoisten sind, die nur ihre eigenen Interessen im Auge haben, eine hübsche Belehrung. Denn eine Belohnung für ihr Verhalten war weder für die Kleinkinder noch für die Schimpansen in Sicht. Doch wenn Kooperation und Hilfsbereitschaft so klar in unseren Genen zu liegen scheinen - warum
machen wir als Erwachsene davon nur so einen dosierten Gebrauch?
    Auch auf diese Frage fanden die Forscher eine Antwort. 3 In einer weiteren Versuchsreihe teilten sie zwanzig Monate alte Kleinkinder in drei verschiedene Gruppen. Jedes Mal, wenn ein Kind aus der ersten Gruppe sich hilfsbereit zeigte, erhielt es ein Spielzeug zur Belohnung. Waren die Kinder der zweiten Gruppe hilfsbereit, so wurden sie dafür ausführlich gelobt. Die Kinder der dritten Gruppe aber erhielten keine Belohnung für ihre Hilfe. Was passierte? Die Kinder aus der zweiten und dritten Gruppe blieben während der ganzen Versuchsreihe auf gleiche Weise hilfsbereit. Doch was geschah mit den Kindern, die mit einem Spielzeug belohnt wurden? Ihr angeborener Sinn für Hilfsbereitschaft wurde in kürzester Zeit fast völlig ruiniert! Sie halfen den Erwachsenen nämlich nur noch unter der Bedingung, dafür belohnt zu werden. Fiel die Belohnung flach, so unterließen die Kinder auch ihre Hilfe. Aus einer unbedingten Hilfsbereitschaft war eine bedingte Hilfsbereitschaft geworden.
    Zu einem ähnlichen Ergebnis kam schon vor zwanzig Jahren der US-amerikanische Entwicklungspsychologe Richard Fabes von der Arizona State University. 4 Er ermunterte eine Gruppe von Kindern im zweiten bis fünften Schuljahr, einen dicken Stapel verschiedenfarbiger Papiere zu sortieren. Dies, so Fabes, würde einen Erlös für schwerkranke Kinder im Krankenhaus bringen. In einer anderen Gruppe stellte er die gleiche Aufgabe. Diesmal allerdings versprach er ein kleines Spielzeug als Belohnung. Beide Gruppen erledigten engagiert ihre Aufgabe. Einige Zeit später bat Fabes beide Gruppen erneut um ihre Hilfe beim Sortieren - allerdings ohne eine Motivationshilfe. Weder erzählte er der ersten Gruppe etwas von den kranken Kindern, noch stellte er der zweiten Gruppe eine Belohnung in Aussicht. Das Ergebnis war wie erwartet: Während die erste Gruppe genauso eifrig sortierte wie beim ersten Mal, wirkte die zweite Gruppe
ziemlich demotiviert. Die Kinder gaben sich kaum Mühe und verloren schnell die Lust.
    Die Botschaft ist unmissverständlich: Materielle Belohnungen verderben den Charakter. Wer darauf konditioniert wird, Dinge gegen materielle

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