Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
Ernst Fehr sehen darin das wichtigste Ziel der Politik. Und auch für ihn entscheidet sich viel durch den Umgang der Bürger mit ihren Steuern: »Die Politik muss die Steuermoral über den Kooperationsgedanken verbessern.« Denn »mehr Kooperation bringt auch mehr Geld in die Staatskasse«. 2
Ein besserer Teamgeist zwischen Finanzamt und Steuerzahler beruhigt möglicherweise auch Gemüter wie dasjenige des Philosophen Peter Sloterdijk (*1947), der sich im Juni 2009 in der FAZ öffentlich darüber aufregte, vom Finanzamt zu sehr geschröpft zu werden. 3 Für Sloterdijk ist der moderne Steuerstaat »ein funktionales Äquivalent zur sozialistischen Enteignung, mit dem bemerkenswerten Vorzug, dass sich die Prozedur Jahr für Jahr wiederholen lässt - zumindest bei jenen, die an der Schröpfung des letzten Jahres nicht zugrunde gingen«. Gegen diesen Ungeist forderte Sloterdijk eine »Revolution der gebenden Hand«, also eine Revolte der Steuerzahler und speziell der Besserverdienenden. Denn die »plausibelste Reaktion darauf« sei der »antifiskalische Bürgerkrieg«.
Seinen unmittelbaren Niederschlag fand dieser Steuerkrieg bei den anschließenden Bundestagswahlen im Herbst und ihrem Rekordergebnis für die FDP. Deren Hauptbotschaft waren Steuersenkungen gewesen. Kein Bundesbürger sollte einen höheren Einkommenssteuersatz zahlen als 35 Prozent. 4 Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist davon nicht mehr die Rede. Und auch die Stimmung unter den Besserverdienenden hat sich in Rekordzeit
dramatisch verändert. Nach einer Forsa-Studie im Auftrag des STERN waren im Juni 2010 42 Prozent der wohlhabenden Deutschen mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen über 4000 Euro dazu bereit, höhere Steuern zu zahlen. Noch etwas höher war die Bereitschaft in der Gruppe von Einkommen zwischen 3000 und 4000 Euro monatlich (43 Prozent). Und selbst ein Drittel der Bürger, die weniger als 3000 Euro netto verdienen, fand sich angesichts der hohen Staatsverschuldung dazu bereit, höhere Steuern zu zahlen. 5
Wie alle Moral, so ist auch die Steuermoral abhängig von den Rahmenbedingungen und von Stimmungen. Als Steuerzahler ist der Mensch nicht mehr homo oeconomicus als in allen anderen Lebensbereichen auch; entscheidend ist die emotionale Motivation aufgrund des Umfeldes und der Bedingungen.
Um die Motivation zu erhöhen, wäre es sinnvoll, den psychologisch so wichtigen Aspekt von Freiwilligkeit in unserem Steuersystem zu verankern. Selbstverständlich nicht in Form der provokativ lustigen Idee Sloterdijks, die Einkommenssteuer abzuschaffen und in freiwillige Geschenke an die Allgemeinheit zu verwandeln. Pragmatisch denkbar wäre es aber, die Steuern der Besserverdienenden von einem Einkommen von 250 000 Euro im Jahr an mit einer Pflichtabgabe von fünf Prozent zu erhöhen. Die besondere Pointe läge in dem Zusatz, dass die Steuerzahler selbst darüber entscheiden, wofür diese Fünf-Prozent-Abgabe eingesetzt werden soll. Zu diesem Zweck gibt der Staat eine Liste vor, die von militärischen Auslandseinsätzen der Bundeswehr bis zur Schaffung von neuen Kindergärten reicht. Durch die persönliche Entscheidung des Steuerzahlers gewinnt die Pflichtabgabe den psychologischen Charakter einer Spende. Und statt als Dukatenesel missbraucht, fühlt man sich als ein großzügiger Spender, der weiß, dass er ganz persönlich mit dafür gesorgt hat, dass in Deutschland neue Kindergärten gebaut, Schulen modernisiert oder Sozialarbeiter eingestellt werden.
Der Unterschied lässt sich auch an einem anderen Beispiel
klarmachen. Wer in Köln das erste Mal in ein Brauhaus geht, wundert sich unter Umständen sehr, dass der Wirt - der »Köbes« - jedes leer getrunkene Kölsch unaufgefordert durch ein neues ersetzt. Dazu macht er auf dem runden Bierdeckel einen Strich mit dem Bleistift. Zu vorgerückter Stunde nach zahlreichen Kölsch kommt es mit ungeübten Brauhausgästen immer wieder zu handfesten Streits. Bei der Abrechnung fühlt sich der Gast betrogen. Dabei geht es ihm nicht um den Betrag, sondern um die vielen Striche auf dem Deckel, von denen er nicht weiß, ob jeder Markierung tatsächlich ein Kölsch entsprochen hat. Hat der Köbes die getrübte Aufmerksamkeit ausgenutzt und den Gast hintergangen? (In Wahrheit betrügen kölsche Köbesse natürlich nicht. So etwas würde ein Köbes nie tun.)
Am Zionskirchplatz in Berlin dagegen gibt es eine Kneipe, wo der Kellner gar nichts aufschreibt. Man bekommt ein Glas und lässt es sich mit einem
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