Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
wir im Alltag nur selten rücksichtslos und brutal, zwar schielen wir vergleichsweise selten auf unseren direkten Vorteil, zwar handeln wir beileibe nicht immer nach unserem wohlverstandenen Eigeninteresse - aber einen Nutzen im weitesten Sinne möchten wir schon haben. Und sei es auch nur den Nutzen eines kurzfristigen Lustgewinns: sich zu entspannen, sich abzulenken, Streit zu vermeiden, sich wohl zu fühlen oder nicht unangenehm aufzufallen. All das also, womit wir unsere Tage verbringen.
Dass ich von meinen Taten etwas haben möchte, ist allerdings noch nichts Schlechtes. »Wer sich selbst nicht auf die rechte Art liebt«, meinte Robert Musil, »kann auch andere nicht lieben. Denn die rechte Liebe zu sich ist auch das natürliche Gutsein zu anderen. Selbstliebe ist also nicht Ichsucht, sondern Gutsein.« Hinter jeder guten Tat steckt ein (wie auch immer gearteter) Eigennutz.
Selbst Mutter Teresa, so darf man annehmen, belohnte sich für ihre aufopfernde Hilfe für die Sterbenden in Kalkutta mit einem guten Gefühl und vielleicht auch mit der Aussicht auf einen Platz im Paradies. Doch wäre es deshalb eine gute Idee, sie als »Egoistin« zu charakterisieren? Kein einziger Philosoph des Abendlandes, der den Menschen für »gut« erklärte, kam jemals auf die Idee, dass man von seinen Handlungen nicht auch etwas haben dürfe. Der rein selbstlose Altruismus ist so utopisch, dass es völlig sinnlos ist, die Menschheit vor dem Hintergrund dieser Spukidee als egoistisch zu beschreiben. Nur weil die Welt nicht weiß ist, müssen nicht alle Menschen schwarz sein.
Wenn jeder Altruismus mit einem persönlichen Nutzen oder Gewinn verbunden ist, macht das Wort »Egoismus« in diesem Zusammenhang nicht mehr viel Sinn. Egoistisches Verhalten ist ein Verhalten, das wir zumeist (wenn auch nicht immer) als falsch und unanständig brandmarken. Freundliche Hilfe, aufopfernde Pflege und nette Nachbarschaftshilfe nennen wir aus guten Gründen nicht egoistisch. Ein Mensch, der sich in einer Krisensituation zunächst einmal selbst hilft oder in Sicherheit bringt, erscheint uns ebenfalls nicht unweigerlich als ein Egoist. Wir finden dieses Verhalten gesund - außer jemand tut dies ohne Rücksicht auf seine Kinder oder andere schutzbedürftige Angehörige. Und selbst die Aufforderung Jesu im Markusevangelium (12,29) »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« setzt zunächst die Eigenliebe voraus.
Egoismus, so wie wir den Begriff im Alltag gebrauchen, meint demnach mehr als diese allgemeine und »weiche« Form. Ansonsten taugte das Wort ja noch nicht einmal dazu, jemanden gehörig zu beschimpfen. Wenn alle Egoisten sind, wird die Bezeichnung sinnlos. Auch der Duden spricht bei Egoismus nicht nur von Selbstliebe, sondern von »Ichbezogenheit«, »Ichsucht« und »Selbstsucht«.
Gemeint ist also nicht das grundsätzliche Schielen nach einem Nutzen, sondern das offensichtliche Vorteilsstreben in jeder Lebenslage.
Doch Menschen, deren Leben einzig und allein davon bestimmt wird, sind eine ziemlich seltene Ausnahme. Man kann sie zudem recht einfach erkennen. Egoisten im Sinne der Selbstsucht sind Menschen, die von anderen um nichts in der Welt so behandelt werden möchten, wie sie andere behandeln. Die anderen Menschen werden nicht als gleichberechtigt wahrgenommen und behandelt, sondern ausschließlich als Mittel zu ihrem persönlichen Vorteil. Dass solches Verhalten gelegentlich bei vielen Menschen aufflackert, ist sicher richtig. Ausnahmslos und dauerhaft jedoch bringt es uns gar nichts. Ein knallharter Egoist hat keine Freunde. Er stolpert durch ein Leben voller Nachteile.
Die Rolle des harten Egoismus im Zusammenleben der Menschen wird gerne dramatisch überschätzt. Und auch für die so oft schiefgehende Weltgeschichte gibt es vermutlich eine ganze Reihe wichtigerer Motive als harten Egoismus. Den Egoismus »des Menschen« zu geißeln ist ein ziemlich sinnloses Unterfangen. Gerade dies allerdings macht die Egoismusschelte zu einem beliebten Motiv von Sonntagsreden. Sie wird umso lauter beklatscht, als sich das Publikum, meistens sogar zu Recht, nicht angesprochen fühlt. Wer von uns hält sich schon selbst dafür? Sie etwa? Oder ich? Egoist ist man nicht selbst. Es sind immer die anderen.
Weil sich der knallharte Egoismus meistens nicht lohnt, sind die Menschen lieber freundlich und kooperativ. Eigentlich ist das eine nette Botschaft. Doch für die genannten Biophilosophen steckt dahinter der Teufel des versteckten
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