Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
darauf viel mehr Kinder. Die Abgebe-Muffel dagegen starben aus.
Einen kühl kalkulierenden Egoisten erkennt der Biologe präzise an der Zahl seiner Kinder. Hat er viele, war er erfolgreich. Hat er keine oder wenige, war er in seinem sozialen Schach zu schlecht. Da unsere Vorfahren schon genauso dachten, wurde der Mensch notgedrungen sozial, obwohl es dabei gar nicht um die anderen ging, sondern nur um die Gene. Ein Spielverderber wie der Soziologe und FAZ-Journalist Jürgen Kaube wundert sich amüsiert über derlei soziobiologische Schnellerklärungen: »Eine Soziobiologie von etwas zu schreiben, macht so gut wie gar keine Mühe. Man nehme einfach einen Tatbestand, der im Ruf steht, eine besondere, variantenreiche, geistvolle oder nur historisch erschließbare Erscheinung zu sein - das Naturschöne, Religion, Großmütter oder die Monogamie -, und denke sich einen Mechanismus im Kampf ums Dasein und um mehr Nachkommen aus, der sie dermaleinst vor ein paar Millionen Jahren befördert haben könnte. Was immer wir tun, sagt die Theorie, tun wir, um unsere Chancen zu erhöhen, das eigene Erbgut reproduzieren zu können. Darauf hat uns die Evolution programmiert, denn nur solche Wesen, die diesem Programm folgten, konnten sich über Jahrtausende hinweg im Naturreich durchsetzen. Das führt dann zu so lustigen Thesen wie der, soziale Verbände seien entstanden, weil Kooperationsgewinne die Individuen für ihren Zusammenschluss belohnten. Lustig ist sie, weil ihr die Vorstellung zugrunde liegt, dass Menschen als Individuen und wie Pilze nebeneinander aus dem Boden schießen und hernach herausfinden, wie nützlich es doch ist, sich zusammenzutun.« 3
Vermutlich müssen wir uns also weiterhin Mühe machen und die Menschen und ihre Kultur in all ihrer schwer auflösbaren Widersprüchlichkeit betrachten. Die Evolution ist keine Frage von spontanen Gesinnungswandeln und praktischen Verabredungen. Sie siebt noch nicht einmal zwingend nach Vorteilen aus. Merkmale und Eigenschaften können auch entstehen und erhalten bleiben, solange sie keinen unmittelbaren tödlichen Nachteil
bringen. Und andere Fähigkeiten, die ursprünglich einmal einen Vorteil beim Überleben bedeutet haben könnten, können auch dann übrig bleiben, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Als überschüssiges Potential können sie ein Eigenleben führen und neue Entwicklungen hervorbringen. So sind Menschen allgemein dazu fähig, an Gott zu glauben, ohne dass dies biologisch einen Sinn macht. Was nützt es einem Affen beim Überleben, dass er gläubig ist? Und wieso begünstigte die Evolution die Liebe zu Computerspielen, Haarfrisuren, Autos, Schuhen, Daily Soaps und Fußball, aber nicht das Verantwortungsgefühl für die Menschheit?
Vorteile im Kampf um einen Geschlechtspartner sind nur ein Aspekt unter vielen anderen. Auch die hübsche Idee einiger Biologen, dass sich die Nettigkeit des Menschen in der Evolution durchgesetzt habe, weil Weibchen nette Männchen zur Paarung bevorzugen, ist ganz sicher eine arge Verkürzung. So freundlich und einfach sich die Idee des survival of the nicest anhört, so eindimensional ist sie. 4 Denn erstens dürfte es ein Gerücht sein, dass Frauen rein sexuell betrachtet sich immer von den nettesten Männchen angezogen fühlen und nicht etwa von den schönsten, den coolsten, den verwegensten und den intelligentesten. Und zweitens haben Lebewesen, die Absichten haben und erkennen, noch eine Menge anderer Absichten als nur die Weitergabe ihrer Gene.
Die Wahrheit dürfte sein: Menschen werden in ihrem wirklichen Leben vermutlich stärker von ihren Ängsten, ihren Skrupeln und Bedenken, ihren flüchtigen Eitelkeiten und kurzfristigen Eingebungen geleitet als von ihrem wohlverstandenen Vorteilsstreben. Denn wäre der Mensch ein rücksichtsloser Gen-Egoist, so wäre er der dümmste und fehlgesteuertste Gen-Egoist, den man sich vorstellen kann. Während unsere Umwelt in atemberaubendem Tempo zerstört wird, unsere Lebensgrundlagen und natürlichen Ressourcen vernichtet werden, ärgern wir uns über unseren Chef oder Nachbarn, schießen Moorenten
am Bildschirm ab oder gucken Greys Anatomy und Desperate Housewifes. »Die Vorstellung, was Menschen in Wirklichkeit machten, bestünde darin, ihre wohlverstandenen Eigeninteressen zu verfolgen«, schreibt die Philosophin Christine Korsgaard, »ist lächerlich«. 5
Der Fehler hinter der Weltsicht der genannten Biophilosophen ist leicht benannt: nämlich dass sie der weichen Form des
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