Die Kunstjaegerin
sein Chef hatte sich bereits wieder an Theresa gewandt. »Also, Ihr Mobiltelefon brauche ich kurz. Und welche Informationen wollten Sie besorgen?«
»Über das Bild.«
»Das weiß ich schon«, sagte er langsam, jede Silbe lang gezogen.
»Zeigen Sie sie mir! Wo sind sie?«
»Ich hoffe im Kasten, oben im Atelier«, antwortete Theresa leise.
»Kommen Sie mit!«
Kiesling ging voran. Wieder machte sie sich auf den Weg durch das Geschäft, stieg über die imaginäre Leiche und erklomm die enge Treppe nach oben. Der Chefinspektor blieb in der Mitte des Ateliers stehen und signalisierte Theresa mit einem Kopfnicken, ihm zu zeigen, wo sich die Informationen befanden.
Theresa ging zum Biedermeierschrank. »Da gibt es ein Geheimfach, in dem Wenz die Dokumentationen über seine Restaurationen aufbewahrt hat.«
Kiesling öffnete alle Laden und fand bei einer den doppelten Boden. Das Fach darunter war leer. Er sah Theresa eindringlich an.
In seinem Gesicht war zu lesen, dass er sie für eine ausgemachte Lügnerin hielt. »Nun?«
Theresa begann zu schwitzen, gleichzeitig war ihr kalt. Aber Pauls Tante hatte gesagt, dass die Unterlagen hier wären! Theresa startete einen kläglichen Rehabilitierungsversuch. »Vielleicht in einer der anderen …?«
»Alle leer! Das sehen Sie doch!«
»Vielleicht hat die Spurensicherung die Dokumente mitgenommen?«
»Nein, das hätte ich in den Akten gelesen.«
Er pfauchte Zipser an, der gerade den Kopf durch die Tür steckte: »Ruf den Huber an! Er soll genauer arbeiten. Das Fach war wirklich nicht schwer zu finden.«
»Aber wenn nichts drinnen war? Dann hat er es einfach nicht erwähnt. Wieso auch?«, versuchte Zipser seinen Chef zu beschwichtigen.
»Klär das mit ihm. Ich hoffe, dass nur sein Bericht schlampig war«, befahl Kiesling.
Zipser ging in den hinteren Teil des Ateliers, um zu telefonieren.
Theresa konzentrierte sich währenddessen auf ihren Rahmen, der so nah war und gleichzeitig so unerreichbar. Den mieselsüchtigen Chefinspektor brauchte sie gar nicht zu fragen, ob sie ihn mitnehmen dürfte. Ohne schriftlichen Nachweis, dass er ihr gehörte, würde Kiesling ihr vermutlich nicht mal den Staub zugestehen, der darauf lag.
»Nein Chef, er hat kein Geheimfach entdeckt«, meldete Zipser kleinlaut aus einer Ecke des Zimmers.
Kiesling stöhnte. »Na super! Jetzt wissen wir nicht, ob vor Frau Valiers unbefugtem Eindringen etwas in der Lade war oder nicht.«
Er stürmte zu Zipser, riss ihm das Telefon aus der Hand und schrie ein paar Beleidigungen hinein. Theresa schluckte. Danach kam wohl sie dran. Sie fühlte sich unbehaglich, wie damals in der Schule, als sie zur Direktorin musste, weil sie das Klo in Brand gesteckt hatte. Unabsichtlich natürlich.
Während Kiesling und Zipser Hubers Arbeitsmoral diskutierten, wanderte ihr Blick wieder sehnsuchtsvoll zum Rahmen. Er war auch ohne Bild wunderschön. Die Schnitzereien, die Vergoldungen, alles intakt, keine Fehlstellen. Nur innen, wo der Keilrahmen aufgelegen hatte, schien er etwas zerkratzt zu sein. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Kopf nach vorne, um ihn besser zu betrachten. Sie glaubte, in den Kratzspuren etwas entziffern zu können. Eine römische Jahreszahl? D, I, M – oder war das ein N? – U, C, C, I … 501 … Nein, das M muss vor das D und U gab es doch …
»Frau Valier!«, donnerte es von hinten, sodass sie ertappt zusammenzuckte und fast das Gleichgewicht verlor. Theresa rollte mit den Augen.
Kiesling schaute sie säuerlich an. »Was mache ich mit Ihnen? Es gibt keinen Beweis, dass jemand anderes vor Ihnen hier eingedrungen ist. Es fehlt, soweit ich feststellen kann, nichts. Der Tatort ist unverändert, ob es Dokumentationen gab oder nicht, kann niemand sagen. Folglich muss ich davon ausgehen, dass Sie das Siegel zerrissen haben, um …« Er sah ihr eindringlich in die Augen, als könnte er dort ihr Schuldbekenntnis finden. »Um etwas zu vertuschen? Ein Beweisstück zu unterschlagen, das wir übersehen haben?« Kiesling blinzelte einen Moment böse zu Zipser, bevor er fortfuhr: »Die Spurensicherung scheint offensichtlich nicht sonderlich gut zu arbeiten. Also nochmals von vorne. Wieso haben Sie sich Zutritt verschafft?«
Theresa wähnte sich im falschen Film. Und daran war nur ihre blöde Neugier schuld! »Bitte rufen Sie Marie Hohenau an. Sie wird Ihnen bestätigen, dass sie mir gestern von den Unterlagen erzählt und mir außerdem den Schlüssel für das Geschäft gegeben
Weitere Kostenlose Bücher