Die Kunstjaegerin
dass ich jemanden brauche, der mir bei der Korrespondenz hilft. Es ist der junge Vincenzo Viviani. Seine jugendliche Lebensfreude, sein Enthusiasmus, seine Neugierde sind so überschwänglich, dass ich – davon angesteckt – mit meiner Arbeit besser als je vorankomme.
Vincenzo ist zwar erst siebzehn Jahre alt, aber von so großer und schneller Auffassungsgabe, dass ich ihn als meinen Meisterschüler betrachten und ihn in all dem unterrichten werde, was der Klerus verbietet. Er ist der legitime Nachfolger eines Galileo Galilei und wird das Wissen um den Mittelpunkt des Universums weitertragen, mein Lebenswerk zu Ende führen. Die Arbeit mit ihm ist wie ein Jungbrunnen. Giusto verewigt ihn schon auf unserem Bild.
Ich wünschte, Ihr hättet auch einen Helfer, der Eure Lebensgeister wieder so erwecken kann.
Ich werde mich bald wieder melden, den nun übernimmt mein guter Vincenzo das Schreiben für mich.
Lebt wohl und bewahrt mir Eure Zuneigung!
Euer G.
Kapitel 13
Florenz, Mittwoch, 13. November Nichts! Wieder nichts! Ärgerlich warf er das Gemälde zur Seite und starrte auf den Tisch, wo ein Brief seines Arztes lag. Nur noch drei Monate. Er hatte sich mehr Aufschub erhofft, nun drängte die Zeit. Er musste es finden. Jetzt. Gleich.
Er zündete sich eine Zigarette an und setzte sich. Den Tod fürchtete er nicht mehr, dass er sterben musste, wusste er schon lange und hatte sich damit abgefunden. Sollte es wider Erwarten einen Gott geben, würde er ihn sicherlich nicht zu Gesicht bekommen und ob man in der Hölle schmorte oder in einem Sarg verrottete, machte in seinen Augen wenig Unterschied.
Die Entdeckung würde ihn jedoch unsterblich machen. Er würde aufsteigen in die Riege eines Heinrich Schliemanns oder Howard Carters. Er durfte lediglich nicht vorher …
Heiße Glut fiel auf seinen Ärmel und brannte ein Loch in den Jackenstoff. Fluchend schüttelte er seine Hand. Wie sollte er weiter vorgehen? Erst musste er warten, bis sie da wäre. Dann würde er sich die Information von ihr holen – und er wusste auch schon wie.
Sein Plan gab ihm neuen Mut. Siegessicher hob er das Bild auf und sah Galileo an. Er würde sein Rätsel lösen!
Dino starrte angestrengt aus dem Flugzeugfenster. Theresa strich ihm eine Haarsträhne hinter sein Ohr und streichelte seine Wange.
»Gefällt es dir?«
»Ja, aber ich kann Opa nirgends sehen. Er ist doch im Himmel, oder?«
Sie seufzte. Wie erklärte man einen Fünfjährigen, was nach dem Tod passiert, wenn man es selbst nicht wusste? Theresa hatte ihm die Version erzählt, die sie in ihrer Kindheit gehört hatte. Und jetzt saß Dino hier, drückte seine Nase am Fenster platt und suchte seinen Großvater in den Wolken.
Sie gab ihm zur Ablenkung den I-Pod, auf dem ein paar Märchen gespeichert waren, und fragte die anderen: »Was würdet ihr euren Kindern erzählen? Was passiert nach dem Tod?«
»Hm, difficile. Als Erstes fällt jedem der Himmel ein – so haben wir es im Religionsunterricht gelernt. Ist nicht schlecht, weil es die Angst nimmt. Uns und den Kindern«, antwortete Paul, der sich nach drei Gläsern Whisky am Flughafen gerade ein viertes einschenken ließ. »Und bitte, müssen wir jetzt unbedingt über den Tod reden?«
»Ich wusste ja gar nicht, dass du solche Flugangst hast«, sagte Theresa mitfühlend. »Und wir reden eigentlich nicht über den Tod, sondern über Religion.«
»Wie auch immer …« Paul setzt sich einen Kopfhörer auf und klinkte sich aus.
»Geht es nicht in jedem Glauben darum, die Angst vor dem Tod zu nehmen?«, überlegte Boris.
»Na ja, in meinen Augen versuchen Kirchen vorrangig, ihre Schäfchen unter Kontrolle zu haben und sie nach ihrem Willen zu manipulieren«, knurrte Flora, die eine strikte Gegnerin jeglicher Religion war, weil sie, wie Theresa wusste, den überzogenen Katholizismus ihrer Mutter für die gescheiterte Ehe ihrer Eltern verantwortlich machte.
»Manipulation mag stimmen, aber …« Theresa zögerte. Das Argument, dass Religion auch ein Gemeinschaftsgefühl und Sicherheit vermittelte, verbiss sie sich, weil in Floras Familie genau das Gegenteil passiert war.
Welche Religion sollte sie Dino näherbringen? Wie sollte sie ihm Ethik erklären? Sie beneidete Menschen, die es schafften, in Gebeten und im Gedanken an Gott Geborgenheit zu finden. Sie war vor Jahren aus der Kirche ausgetreten, weil ihre Zweifel zu stark gewesen waren. Dino sollte später selbst entscheiden, was er glauben wollte. Nur – war sie eine
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