Die Kunstjaegerin
war endgültig aus diesem bösen Traum erwacht. Der Mord an Wenz war geklärt und ihr Bild war an seinem Tod nicht schuld gewesen. Das ließ die Gewissensbisse, die sie geplagt hatten, verschwinden. Und Trauer um Schlager? Nein, wenn er Wenz nicht getötet hätte, wäre er selbst nie zum Verfolgten geworden.
Draußen verzogen sich die letzten Wolken. Nach ein paar Asanas und dem abschließenden Gruß an die Sonne war sie so entspannt, dass sie sich sogar auf die Slackline wagte. Und zum ersten Mal wurde sie nicht abgeworfen! Ein herrlicher Tag, sie hatte ihre innere Ruhe und Ausgeglichenheit wiedergefunden.
Noch dazu war heute Faschingsbeginn. Das schrie nach Farbe.
Theresa ging ins Wohnzimmer, kramte alle Buntstifte hervor und begann, ihre Illustrationen zu kolorieren.
Die Regenbogenmaschine färbte mit ihrer Wunderspritze den Himmel bunt. Genauso fühlte sie sich jetzt – voller Regenbogen. Sie lächelte und überlegte, wieso man eigentlich fröhlich war, wenn man die farbigen Streifen sah, bedeuteten sie doch, dass es irgendwo regnen musste.
Sie steckte die fertigen Zeichnungen in ein großes Kartonkuvert, um sie an ihre Freundin zu schicken. An der Verlagspräsentation konnte sie selbst leider nicht teilnehmen, weil sie noch in Florenz sein würde. Das fand sie zwar schade, doch die Freude, endlich wieder ein Projekt zu Ende gebracht zu haben und vor allem endlich wieder in Italien zu sein, wog alles auf. Theresa beseitigte das Morgenchaos, steckte sich einen halben Muffin in den Mund und bemerkte, dass er schimmelig war. Verflucht – zwei davon hatte sie Dino in den Kindergarten mitgegeben. Sie sah auf die Uhr, die Pause war längst vorbei. Armer Dino, hoffentlich würde er nicht krank werden. So kurz vor der Italienreise. Sie beschloss, ihn gleich zu holen.
Theresa verließ das Haus und stieg in ihren Sharan. Leon war mit dem Porsche zur Arbeit gefahren, was ihr insgeheim auch lieber war, denn richtig bequem fand sie den Flitzer nicht. Als sie den Kindergarten erreichte, riss sich Dino, der mit der Gruppe gerade von einem Spaziergang zurückkam, freudig von der Hand der Erzieherin los und rannte zum Wagen.
»Hallo Mama, du bist schon da?«, rief er durch das Fenster.
»Geht es dir gut?« Theresa suchte in seinem Gesicht nach Zeichen einer Lebensmittelvergiftung.
»Alles super.«
»Auch im Bauch?«
»Ja, wieso?«
»Nur so.« Theresa war erleichtert. »Was willst du heute tun? Ich bin mit meiner Arbeit fertig, jetzt gehöre ich allein dir.«
»Basteln wir ein Faschingskostüm? Ich will mich als Skelett verkleiden.«
Roboter oder Astronaut wären Theresa nach all den Toten zwar lieber gewesen, aber da es Dinos Wunsch war und er nach ihrem Muffin-Fauxpas etwas gut hatte, widersprach sie nicht.
Zu Hause machten sich beide mit einem schwarzen T-Shirt von Leon, einem Anatomiebuch und weißer Farbe an die Arbeit. Als Theresa schließlich den Pinsel weglegte, meinte Dino: »Da fehlt noch was!«
»Was denn?«, fragte sie und zählte verunsichert die Rip-pen nach.
»Na, der Knochen hier unten.« Dino deutete auf das Becken.
Grinsend antwortete Theresa: »Nein, da gibt es keinen.«
»Doch, was hab ich denn da sonst?«
»Keinen Knochen.«
»Doch, doch, doch! Und den will ich auch am Kostüm!«
Wie war es schön, sich über solch banale Dinge den Kopf zu zerbrechen. Endlich war wieder Normalität in ihr Leben eingekehrt.
Theresa überlegte, ob sie nachgeben sollte. Wenn Dino allerdings mit dem Skelett-T-Shirt auf ein Faschingsfest in der Nachbarschaft ginge, würde sie sich zu Tode genieren. Nein, kein Penisknochen!
»Weißt du was, ruf Papa an!« Das musste unter Männern ausgemacht werden.
Während Dino mit Leon, der plötzlich immer erreichbar war, sprach, beobachtete Theresa ihren unbeschwerten Sohn.
Glücklicherweise hatte er sich von den Aufregungen der letzten Tage nicht sonderlich aus der Ruhe bringen lassen. Am ehesten noch von dem Monster, aber nur ein bisschen. Er war ein stoischer kleiner Kerl, genau wie sein Vater. Und Leon konnte seinen Sohn sicherlich überzeugen, der Wissenschaft keine neuen Erkenntnisse zu schenken.
Arcetri, Dezember 1637
Carissimo et illustrissimo mio amico!
Teuerster Freund!
Euer letzter Brief hat mich sehr erheitert, vielen Dank dafür. Denn Aufmunterung brauche ich hier, in meinem Kerker in Arcetri. Ja, jetzt beginnt wieder diese triste, kalte Zeit, wo ich selbst meine schöne Villa nicht als Heim betrachte, wo die Dunkelheit der Tage
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